Barbara Nüsse

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Stalinisten und Dissidenten

Stasia visierte ursprünglich eine Tanzkarriere in Paris an, bleibt aber während der Oktoberrevolution im Imperium und verliert ihren Mann im Kriegsgeschehen. Ihre schöne Halbschwester Christine (Karin Neuhäuser) heiratet zwar einen Appartschik, aber sein Vorgesetzter, der Geheimdienstchef, bedrängt sie unnachgiebig und macht sie zu seiner Mätresse, was ihr Einfluss einbringt, doch ihre Schönheit vor der Zeit verblühen lässt und sie beinahe menschlich ruiniert. Im Zentrum stehen Stasias Kinder Kostja (Sebastian Rudolph) und Kitty (Maja Schöne), die unterschiedliche Richtungen einschlagen. Während Kostja ein linientreuer stalinistischer Recke wird und den "Neuen Menschen" repräsentieren möchte, geht Kitty, die später Sängerin in England wird, ins systemkritische Lager. Ihr Pech ist, dass sie Andro Eristawi (André Szymanski) heiratet, der auf der Seite der Wehrmacht kämpft und im Gulag landet. Hinzu kommt die erzwungene Abtreibung und der anschließende Verlust der Fertilität. Szymanski spielt alle drei Eristawis (Sopio, Andro und Miqa) und macht das gestenreich und mit chamäleonhafter Versiertheit. Auf zehn Rollen bringt es Mirco Kreibich, der zuletzt Brilka im weißen Röckchen spielt – eine Szene, die leider viel zu lang geraten. Diese sechs Generationen sind die glücklichsten nicht: Sie scheitern an den politischen Verhältnissen, an inneren Widersprüchen und an der Liebe. Ein ruhiges, gelassenes, epikureisches Leben führt niemand. Kostja beispielsweise ist so stalinistisch akribisch, dass er neben der fabrikmäßigen Ablieferung von Denunziationen auch gegen eigene Familienmitglieder intrigiert. Letztlich stirbt er bei einem grausamen Malheur auf einem Atom-U-Boot.

 

Dauerkrise und Phasen der Erholung

Georgien hat in den letzten 100 Jahren etliche Turbulenzen erlebt, einige wollten unbedingt in die Führungsschicht aufsteigen und Geschichte "machen", andere gingen in die innere Emigration oder wurden Opfer von Säuberungswellen. Haratischwilis Roman endet im Großberlin der Nachwende-Zeit, hier erfährt Brilka von Niza (Lisa Hagemeister) die ganze Geschichte, obwohl die Erzählerin vieles nur aus der Überlieferung kennt. Der Tanz spielt in dieser keineswegs optisch überladenen Inszenierung eine nicht unerhebliche Rolle, während die Musik weit weniger auffällt. Augenblicke poetischen Zaubers sind leider rar – zu ernst sind doch die privaten und politischen Schicksale, dass man fast von einer Dauerkrise reden könnte, gäbe es nicht Phasen der Erholung und kleinere geistige Erfrischungen. Mitunter ist es auch ein wenig ermüdend, kein Wunder bei der Dauer und gedehnten, geschickt aufgeteilten Opulenz. Immerhin, Jette Steckel präsentiert ein hervorragendes Ensemble. Ein recht ansehnlicher, schmucker Abend. Das Berliner Publikum klatschte lange Beifall und ein Großteil hielt es dann nicht mehr auf den Sitzen.

 

Das achte Leben (Für Brilka)
von Nino Haratischwili
Bühnenfassung von Emilia Heinrich, Julia Lochte und Jette Steckel
Regie: Jette Steckel, Bühne: Florian Lösche, Kostüme: Pauline Hüners, Musik: Mark Badur, Choreografie: Yohan Stegli, Video: Zaza Rusadze, Dramaturgie: Julia Lochte, Emilia Heinrich.

Mit: Maja Schöne, Cathérine Seifert, Lisa Hagmeister, Franziska Hartmann, André Szymanski, Karin Neuhäuser, Barbara Nüsse, Sebastian Rudolph, Mirco Kreibich.

Thalia Theater Hamburg

Deutsches Theater Berlin, Gastspiel vom 16. Juni 2018
Dauer: 5 Stunden, eine halbe Stunde Pause

 

 

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