Deutsches Theater: Kritik von "Der Löwe im Winter" – Sebastian Hartmann
Premiere in Berlin. England im 12. Jahrhundert unter der Herrschaft von Henry II. Der Regisseur Hartmann hievt das zweimal verfilmte Drama von James Goldman auf die Bühne.Rustikaler Auftritt auf harten Pritschen
Der kahle Felix Goeser als Richard Lionheart tritt diesmal mit einen Vollbart auf, ob der aufgeklebt oder gewachsen ist, sei einmal dahingestellt. In einem Kettenhemd auftauchend bringt er für seine rustikalen Auftritte das bestmögliche Rüstzeug mit. Er hüpft auf Metallliegen herum wie ein behänder Bauarbeiter auf einem Gerüst und streift sich einmal eine überbordende feuerrote Irokesenperücke über,als wolle er den Kolumnisten und Internet-Ratgeber Sascha Lobo in pervertierter Form karikieren. Das Bühnenbild ist hierfür wie geschaffen: Ein Riesenrad bewegt sich auf der Drehbühne und jäh fährt ein Eisengerüst hoch und breitet die harten Pritschen aus, auf denen niemand liegen möchte. Das ist nicht unoriginell, und man kann gegen Hartmann nicht den Vorwurf erheben, dass er einem verschmockten, artifiziellen Ästhetizismus huldigt.
Kotzen mitten ins Gesicht
Die familiäre Kraftprobe im Schloss ist angefüllt mit Eifersüchteleien, Intrigen und Machtgier. Der König (Michael Schweighöfer), eine rundlich gedrungene Gestalt, ist daran nicht ganz unschuldig, verteilt er doch seine Sympathien und Antipathien nach Lust und Laune. Gelegentlich scheint er den Jüngling John (Benjamin Lillie) zu favorisieren, aber das ist stimmungsabhängig, zumal er zwischen Mitleidsbekundungen und cholerischen Ausbrüchen hin- und herpendelt. Unter dem Tisch werden quasi die Messer herumgereicht und gewetzt. In einer Szene kotzt Geoffrey (Peter Moltzen) dem verblüfften John mitten ins Gesicht, auf dem dann eine weiße Brühe wie Kleister haftet. In das allgemeine Getriebe mischt sich auch noch Andreas Döhler als Philipp II., König von Frankreich: Er ist eher ein schlichter, ein ruhender Pol, sofern das in dieser Konstellation möglich ist, und macht aus seiner Homosexualität keinen Hehl. Das erschwert allerdings eine Gebietserweiterung durch eine Vernunftehe.
Die Bestie Mensch
Die Frauen: Almut Zilcher spielt ihren Part als Eleanor in gewohnter Manier. Souverän, abgeklärt, mit Jähzorn, der in spontanen Wutanfällen gipfelt. Ein Changieren zwischen Gemütseinschleichung und heftigen Ausbrüchen. Aus der hingebungsvollen Mama wird nicht nur eine Amazone, sondern eine Erinye. Natalia Belitski als Alais bleibt diesmal unter ihren Möglichkeiten, sie kann ihr unbestrittenes Talent nicht voll ausspielen. Als Geliebte Henrys kann sie nur selten Akzente setzen, was sie veranschaulicht, ist die Fähigkeit von Frauen, sich mittels Bett hochzuhieven. Aber ein konsequenter Thron-Karrierismus wird nicht deutlich gemacht. Auch sie zeigt letztlich die Bestie Mensch, sogar die blondes Bestie Nietzsches, als sie sich eine helle Perücke überzieht. In Sebastian Hartmanns Kosmos geht es sehr infernalisch zu, die Hölle liegt im Inneren, der Abgrund lauert im Selbst. Kurz vor dem Ende kommt eine Flut von psychedelisch angehauchten Bildern auf die Zuschauer zu, hervorragend in ihrer Stimmungsästhetik.
Sebastian Hartmann bei der Premierenfeier © Steffen Kassel
Ein kleiner Geistesrausch entsteht. Und alle werden durch ein Kopfstreicheln Henrys ins Jenseits befördert. Ein frenetischer Beifall strömt durch den Saal, kein Buh-Ruf ertönt, zumal Hartmann ein halbes Leipziger Heimspiel hat. Bei der Premierenfeier wird er von einer Menschentraube umringt. Der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer legt einen besonders kraftvollen Auftritt hin.
Der Löwe im Winter
von James Goldman
Deutsch von Susanne Meister
Regie und Bühne: Sebastian Hartmann, Dramaturgie: Sonja Anders, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Musik: Nackt, Video und Lichtdesign, Transforma: Simon Krahl, Luke Bennett, Baris Hasselbach, Licht: Heimhart von Bültzingslöwen, Ton: Martin Person, Matthias Lunow.
Mit: Natalia Belitski, Almut Zilcher, Michael Schweighöfer, Andreas Döhler, Felix Goeser, Peter Moltzen, Benjamin Lillie.
Premiere vom 28. Februar 2014
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)