Plakat der Aufführung

 

In einem erhabenen Zustand

Der Titel des Dramas sagt schon einiges aus: Lotz hat Conrads "Herz der Finsternis" – und damit auch den Film "Apokalypse Now" - ins Lächerliche gezogen. Die chaotische, dämonische Natur, wegen ihrer archaischen Dimension Angst und Schrecken verbreitend, wird durch Hintergrundgeräusche verdeutlicht, so wie sich Lotz/Löffner eben Urwaldgeraschel vorstellen. Während es im Roman Marlow mitunter gelingt, den Schrecken kraft seines Abstraktionsvermögens zu bändigen und in einen Zustand des Erhabenen zu verwandeln, braucht Pellner (Alexander Khuon) solche Anstrengungen überhaupt nicht. Er befindet sich quasi a priori in einem erhabenen Zustand, als besitze er eine instrumentelle Vernunft, die sich über alles Bedrohliche automatisch hinwegsetzt. Cool, ruchlos, unangreifbar und zu zweifelhaften Scherzen aufgelegt – so präsentiert er sich. In dieser Verfassung wird die gefährliche Bootsfahrt zu einer friedlichen Expedition mit kraftvollen Szenarien. Und sein militärischer Kollege Dorsch (Moritz Grove) wirkt eher treudoof und gutmütig, mit ihm würde man unter Umständen gerne ein Bier zusammen trinken.

 

Der Kapitalismus ist gerettet

Dementsprechend gleicht das kleine Schiff einer Aussichtsplattform, die, mit zahlreichen weißen Folien ausgelegt, außer Wasser und Bäumen wenig zu bieten hat. Mitunter erhebt sich das Plateau zu einem Luftschiff, doch der zum Überblick gewordene Ausblick scheint Pellner nicht zu Geistesblitzen anzuregen. Für Abwechslung sorgt Kathleen Morgeneyer, die in verschiedene Figuren schlüpft und bizarre, schrullige Szenen entrollt. Zunächst erzählt sie die Geschichte eines somalischen Piraten, der sich vor Gericht zu verantworten hat. Ein schreiender Pleonasmus lässt aufhorchen: Die Rede ist von einem "schwarzen Neger", und auch Khuons Pellner begibt sich in die anachronistischen Gefilde des Kolonialismus, wenn er von "Eingeborenen" redet. Im Zeitalter des Post- bzw. Neokolonialismus hat man anscheinend nicht dazugelernt. Morgeneyer spielt auch einen serbischen Geschäftsmann, der nach Bombardierung und Ausradierung seiner Familie im Pseudo-Dschungel seine Waren feilbietet. Der Kapitalismus ist gerettet, selbst im Hindukusch-Fluss, am internetlosen Ende der Welt kann man Investmentfonds, Lebensmittel und Schmuck erwerben. Die Schauspielerin kommt zudem noch im Gewand eines entfesselten Geistlichen daher, der die Religions-, oder besser: Körperfreiheit preist.

 

Die Flussfahrt als Betriebsausflug der Bundeswehr

Einige Zuschauer sehen Morgeneyer vielleicht noch auf einem Stein stehen, ins Goschs "Möwe", jammernd und schluchzend. Diesmal stellt sie das anekdotisch Lustige dar und könnte auch als Unterhalterin im Kindertheater eingesetzt werden. Ihre Figuren sollen das Stück wohl entkrampfen und in die heitere Leichtigkeit ziehen, aber das machen die beiden Protagonisten schon längst. Das Drama ist beinahe schwerelos geworden, und der gesuchte Deutinger (ebenfalls Kathleen Morgeneyer) entpuppt sich als Popanz. Über keine Anziehungskraft wie Kurtz verfügend, der "die Erde in Stücke geschlagen hat", ist Deutinger lediglich ein liquidierungshungriger Hanswurst. Insofern ist die Reise ein Fiasko – ist das nicht eine versteckte Kritik des Bundeswahreinsatzes in Afghanistan? Das mag überinterpretiert sein, kommt aber so rüber. Manchmal hat es den Anschein, als sei Wolfram Lotz intervallartig von seiner Inspiration im Stich gelassen worden. Gewiss, er hat eine Parodie, ja Persiflage geschaffen und die beiden Vorlagen ins Lächerliche gerückt - aber ohne einen ernsthaften Hintersinn zu generieren. Pellner ist von Anfang an die Inkarnation der Selbstbehauptung, eine kuriose Kombination von leiser Tumbheit und pragmatischer Intelligenz. Die Flussfahrt kommt daher wie ein Bundeswehr-Betriebsausflug, bestenfalls wie ein Abenteuerurlaub. Mitnehmen kann man wenigstens einige durchaus heitere Sequenzen.

Die lächerliche Finsternis
von Wolfram Lotz
Regie: Daniela Löffner, Ausstattung: Claudia Kalinski, Musik/ Sounddesign: Sebastian Purfürst, Licht: Marco Scherle, Dramaturgie: Ulrich Beck.
Mit: Kathleen Morgeneyer, Alexander Khuon, Moritz Grove.

Und: Andy Kubiak, Patrick Sommer, Marof Yaghoubi.

Deutsches Theater Berlin, Kammerspiele

Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

 

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