Die Kölner Keupstraße

© A. Savin/Wikipedia

 

Gegenseitige Beschnupperung

Das Bühnenbild (Anne Ehrlich) soll den Graben in der Gesellschaft veranschaulichen. Rechts und links sind zwei kühle, aseptische, ganz in Weiß gehaltene Räume, dazwischen eine Mulde wie ein kleiner Weg, der im Vordergrund von einer feinen Laterne verbrämt wird. Es sieht gepflegt aus, nicht wie nach einer Verwüstung. Diese akkurate, aber nicht aparte Ausstattung scheint überhaupt nicht zum Thema zu passen, dies ist wohl der letzte Ort, der sich für eine ernsthafte Diskussionskultur eignet. Auf der einen Seite sitzen die türkischen Laiendarsteller (Ismen Büyük, Ayfer Sentürk Demir und Kutlu Yurtseven), auf der anderen Seite die professionellen deutschen Theaterhandwerker (Simon Kirsch, Thomas Müller und Annika Schilling), und sie beschnuppern sich gegenseitig, als seien sie sich auf freier Wildbahn zum ersten Mal begegnet. Diese plakative Gegenüberstellung erweckt den Eindruck, ein derartiges Aufeinanderzugehen sei ein Novum, das es bislang in dieser Form noch nie gegeben hat. Tatsache aber ist, dass Toleranzdeutsche und Türken schon immer den Dialog gesucht haben. Die Darstellung der Fremdheit ist befremdend, aber der Regisseur hat sich vorgenommen, das Ganze durch ein gesprächsintensives Arrangement zu durchstoßen. Nach den ersten Schritten werden die Fragen immer kühner: Werden in der Türkei nicht die Frauen unterdrückt? Ist ihre Religion nicht eine Verbotsreligion? Annika Schilling, leicht erhitzt, möchte ihnen am liebsten die Freiheit gesetzlich festschreiben lassen. Mit Entsetzen stellt die deutsche Fraktion fest, dass ihr das Fremde denn doch zu fremd ist. Vorurteile, auch im eigenen, ach so toleranten Herz?

 

Mit zweierlei Maß

Simon Kirsch und Thomas Müller sehen aus wie Brüder und agieren auch so. Eine kleine Phalanx im Mini-Kollektiv. Bei den Türken fällt vor allem Kutlu Yurtseven auf, der sich vehement für eine Gerechtigkeit einsetzt, die sich auch auf die dem Grundgesetz verhaftete Justiz erstreckt. Nach all den Demütigungen und Schlecht-Behandlungen durch deutsche Behörden stellt er lakonisch und anklagend fest, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Damit prangert er ein Grundproblem der deutschen Justiz an: Die Gleichbehandlung wird außer Kraft gesetzt, Recht kann man sich unter Umständen auch kaufen. Ganz anders hingegen Ismen Büyük, der enerviert von bizarren Anklagen, auf türkisch aufbraust, weil ihm der Kragen platzt. Immerhin, die permanente Gesprächsbereitschaft sorgt für ein Klima, das den Weg bereitet für ein Zueinanderkommen, das freilich nur approximativ und ausbaufähig ist. Nach dem Anschlag war die Keupstraße wie gelähmt, betäubt, ihrer Aura beraubt. Dann zieht die Figur von Annika Schilling durch die Straße und singt mit Kindern, und die türkischen Geschäftsleute treten allmählich aufs heiß gewordene Pflaster. Eine Wiederauferstehung scheint einzusetzen, auch ein Betroffenheitstourismus. Aber der Anschlag sitzt wie ein Stachel, der sich nicht durch ephemere Wiederbelebungsversuche herausreißen lässt. Letztlich eine halb geglückte Inszenierung.

Die Lücke
von Nuran David Calis
Regie: Nuran Daivd Calis, Bühne: Anne Ehrlich, Kostüme: Amelie von Bülow, Musik: Vivan Bhatti, Video: Sterntaler Film / Adrian Figueroa, Licht: Jan Steinfatt, Dramaturgie: Thomas Laue.
Mit: Simon Kirsch, Thomas Müller, Annika Schilling, Ismet Büyük, Ayfer Sentürk Demir, Kutlu Yurtseven.

Deutsches Theater Berlin

Gastspiel vom 19. Juni 2015

Dauer: 2 Stunden, keine Pause

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