Ins Groteske gewendetes Reality-TV

Der Autor Martin Crimp, der von Ionesco und Pinter beeinflusst ist, will aufzeigen, dass das individuelle Ringen nach Glück zahlreiche Kollateralschäden mit sich bringt. Gesteigerte Egomanie ist nur ein Ausdruck von Beziehungslosigkeit. Die Granny (Margit Bendokat) breitet sich aus über ihre Passion fürs Taxi fahren und interessiert sich nicht für die Belange der anderen. Der Großvater hingegen (Christian Grashof) blättert mit unverhüllter Leidenschaft in Porno-Magazinen und zeigt Anflüge von Debilität. Während Dad (Michael Goldberg) und Mum (Judith Hofmann) noch mit gebremster Streitlust agieren, tragen ihre Töchter einen Zickenkrieg aus, der mit Verbalinjurien und Sticheleien gesättigt ist. Natalia Belitski als Debbie ist schwanger, streicht sich einige Male mit Zartgefühl über den Bauch, will aber partout nicht sagen, von wem das Kind stammt. Das Ganze grenzt ans Reality-Fernsehen, allerdings überzeichnet und ins Groteske gewendet. Ein scharfer Realismus, der einige karikierende Elemente enthält. Der Weihnachtsbaum gleicht einer bizarren Skulptur, im Hintergrund flimmert auf einem Monitor eine Berglandschaft mit Schneefall, ein wenig idyllischer Anblick, kitschig und lau. Angesichts der aggressiven Schrillheit wäre eine Einspielung von Panzerverbänden wesentlich treffender gewesen.

 

Ein neues Puverfass

Ein neues Pulverfass tut sich auf, als Onkel Bob (Peter Moltzen) auf der Bildfläche erscheint und die Weisungen seiner draußen wartenden Partnerin Madeleine (Franziska Machens) zum Besten gibt. Sie hasse den gesamten Clan, teilt der Onkel mit, als bereite es ihm einen besonders intensiven Genuss, noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Nach dem robusten Prolog taucht nun auch Madeleine auf, um ebenfalls in den zersprengten Haufen zu stechen, der bei derlei Bemerkungen schon ausreichend Training besitzen sollte und mit staunender Abgeklärtheit reagiert. Man ist quasi wieder bei sich selbst angekommen.

Im zweiten Teil geht es um die "fünf wesentlichen Freiheiten des Individuums". Die Familie sitzt in einer Art Wartehalle - vielleicht in einer Flughafen-Lounge – auf einer kreisförmigen Sitzbank, in deren Mitte Pflanzen eingebettet sind. Der Familienstreit scheint beigelegt, nun dominiert die Selbstbesessenheit. Man möchte sein eigenes Drehbuch schreiben und leben und spricht über Schließmuskeln, geöffnete und geschlossene Körperöffnungen.

 

Das Streben nach Glück ist sinnlos

Ach, wäre es nicht schön, wenn man einen unliebsamen Mitbürger durch das schlichte Betätigen der Delete-Taste ins Jenseits schicken könnte? Also sprechen die Individuen, die ein Recht aufs Durchstehen eines Traumas fordern, das dann durch Bewältigungsstrategien und spezielle Therapieformen überwunden werden kann. Martin Crimp zeigt eine desaströse Republik, in der der Hang zur Perfektion oftmals zum Gegenteil, zur Unfreiheit führt. Wir sind Gefangene unserer selbst, und das Glück kommt, wann es will – das Streben danach ist sinnlos. Zwischen den Wortsequenzen wird viel gesungen, vor allem Natalia Belitski und Franziska Machens, Letztere luftig gekleidet und viel (Rücken-)Fleisch zeigend, das glänzt wie die Frucht einer enthäuteten Nuss, fallen durch schönen Gesang auf. Insgesamt lässt sich Rafael Sanchez viel Zeit, er überschreitet die Länge der Londoner Uraufführung um satte 10 Minuten. Zum Schluss gibt es noch eine Liebesdiskussion zwischen Madeleine und Bob: Er scheint ihr verfallen zu sein und ist derjenige, der mehr liebt. Vor einem in silbrige Streifen geteilten Vorhang wird noch ums rein private Liebesglück gekämpft – wenn auch alle anderen Glückskämpfe verschwendete Zeit sind. Es ist noch nicht alles verloren. Eine jederzeit ansprechende Inszenierung.

In der Republik des Glücks
von Martin Crimp

Deutsch von Ulrike Syha
Regie: Rafael Sanchez, Bühne: Janina Audick, Kostüme: Ursula Leuenberger, Musik: Cornelius Borgolte, Video: Sacha Benedetti, Dramaturgie: Anika Steinhoff.
Mit: Natalia Belitski, Christian Grashof, Franziska Machens, Margit Bendokat, Michael Goldberg, Peter Moltzen, Judith Hofmann, Lisa Hrdina.

Deutsches Theater Berlin, Kammerspiele

Premiere vom 28. November 2013

Dauer: 140 Minuten, eine Pause

Foto: © Steffen Kassel

 

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