Zurück zum Beton

Vor der Premiere

© Steffen Kassel

 

Zurück zum Beton scheint das neue Motto von Kimmig zu lauten. Druckfest ist die aseptische Betonlandschaft (Ausstattung: Merle Vierck), aber die Bewohner scheinen dem Druck nicht länger gewachsen zu sein. Die Decke kippt nach hinten in eine Schräge, eine Atmosphäre von Beengung und Bedrückung entsteht quasi automatisch. Eine Öffnung in der Rückwand dient den Ensemblemitgliedern zum kurzzeitigen Verschwinden und Wiederauftauchen. Im Moskau des Jahres 2001 hat längst der Kapitalismus Einzug gehalten, mit ihm auch die Oligarchie und der Reichtum weniger. Radik (Benjamin Lillie), ein ambitionierter Schriftsteller ohne Publikation, haust in einer Kammer und bekommt Besuch von seiner Schwester Lilja (Kathleen Morgeneyer), die sich in dem bescheidenen Hauptquartier auf Dauer einrichtet. Ausgemergelt und drogenabhängig, kommt Radik mit diesem System nicht zurecht, sein Leben ist ein einziges Vakuum, ein Wartezustand, ein Vorinferno.

 

Die Polizei als Terrorinstrument

Heike Makatsch

© Wikimedia/Franz Richter

 

Man hört vom heraufziehenden Wohlstand, hört von kolossalen McDonald's-Hochburgen, hört von großen Dingen. Ereignisse von unabsehbarer Tragweite, die an Radik und seiner wesentlich akklimatisierungsbereiteren Schwester spurlos vorüberziehen. Sie streiten sich, nachts auch, brüllen sich an und führen eine harmlose, von zwischenzeitlicher Harmonie gebremste Dauerfehde. Ihre Hauptmieterin wird gespielt von Heike Makatsch, die als Import von Sebastian Hartmann zum ersten Mal im Deutschen Theater auftritt und sich nicht in den Vordergrund drängt, das lässt auch ihre Rolle nicht zu. Des nächtlichen Lärms überdrüssig, ruft sie wiederholt die Polizei an, um dem krachenden Getöse ein Ende zu bereiten. Die Polizei in Gestalt von Felix Goeser reagiert als kalte, seelenlose Maschinerie: Eine repressive Staatsapparatur, ähnlich den Tschekisten (ebenfalls Goeser), die Widerspenstige gnadenlos unterdrücken, ja terrorisieren.

 

Staatliche Bevormundung trotz des Systemwandels

Die Botschaft des Dramas scheint klar zu sein: Trotz des fundamentalen Systemwandels hat sich nicht viel verändert. Staatliche Bevormundung gibt es weiterhin, das Rad des Ixion steht nicht still. Moskau aus Sicht der Erniedrigten und Beleidigten heute: Ein charakterloser Steinhaufen, eine seelenlose Betonwüste. So interessant das Thema auch ist, Kimmig hat es nicht in die richtige Form gebracht. Die Inszenierung wirkt unausgegoren, als sei der Regisseur auf halbem Weg stehengeblieben wie jemand, der nur einen ersten Entwurf abgeliefert hat und noch herumprobiert. Der Versuch, einen Makrokosmos anhand von zwei nicht einmal repräsentativen Privatsituationen darzustellen, will nicht ganz gelingen, trotz einiger szenischer Glanzpunkte. Aufgehellt wird das gewagte Unternehmen durch die Musik von Felix Goeser (Schlagzeug) und Benjamin Lillie (Gitarre). Überflüssig ist übrigens das permanente Umziehen von Kathleen Morgeneyer, auftretend in einer weißen, klinikartigen, orthopädischen Strumpfhose, die jegliche Erotik im Keim erstickt. Der Wechsel der Zeitzonen wird auch so klar. Langweilig ist die Inszenierung nie, allerdings ausbaufähig.

Tag der weißen Blume
von Farid Nagim
Regie: Stephan Kimmig, Ausstattung: Merle Vierck, Dramaturgie: John von Düffel.
Mit: Heike Makatsch, Felix Goeser, Benjamin Lillie, Kathleen Morgeneyer.

Deutsches Theater Berlin

Premiere vom 5. Juni 2014

Dauer: 1 Stunde, 25 Minuten, keine Pause

 

 

Laden ...
Fehler!