Die emotional-instabile (Borderline-)Persönlichkeitsstörung
Aufgrund ihrer krassen Symptomatik erscheint die emotional-instabile (Borderline-) Persönlichkeitsstörung als die „hässliche Schwester“ des pathologischen Narzissmus.Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Persönlichkeitsbild
Der Borderline-Persönlichkeit fehlt ebenso wie dem pathologischen Narzissten ein stabiles Selbstwertgefühl. Während jedoch der pathologische Narzisst diesen Mangel vordergründig kompensieren kann, tritt er bei der Borderline-Persönlichkeit unverhüllt in Erscheinung. Das heißt: Beim Borderliner sind aufgrund des mangelnden Selbstwertgefühls auch das Selbstbild und die Selbstwahrnehmung völlig instabil, so dass der Betroffene wie zerrissen in sich selbst ist. Als Folgewirkung kommt es häufig zu dramatischen Wechseln von Zielsetzungen und Berufswünschen. Pathologische Narzissten zeigen demgegenüber eine größere Stabilität ihres Selbstbilds, treten deshalb auch selbstbewusster auf und sind besser in ihr gesellschaftliches Umfeld integriert. Dem Narzissten fehlen auch die offene Wut, die extremen Stimmungsschwankungen, die generell hohe Impulsivität und die Neigung zur gnadenlosen Selbstverletzung bis hin zum Suizid, die den Borderliner kennzeichnen. Dem Borderliner fehlt wiederum das Gefühl von Überlegenheit bis hin zum Größenwahn, das den Narzissten kennzeichnet. Dem Narzissten sind wiederum die bei Borderlinern auftretenden Denk- und Wahrnehmungsstörungen fremd, die psychotische Schübe, insbesondere paranoide Vorstellungen, beinhalten.
Die konträre Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen
Grundsätzlich sind sowohl bei Borderlinern als auch bei pathologischen Narzissten wegen ihres mangelhaften Selbstwertgefühls und der damit verbundenen Unfähigkeit, gesunde, konstante Objektbeziehungen zu entwickeln, die Beziehungen zu anderen Menschen grundlegend und nachhaltig gestört. Während jedoch der Narzisst scheinbar selbstgenügsam um sich selber kreist und andere Menschen lediglich als Bewunderer seiner Großartigkeit benötigt, sind für den Borderliner Kontakte zu anderen Menschen von existenzieller Bedeutung. Denn er fürchtet nichts so sehr wie das Alleinsein. Die damit verbundene Forderung an den Partner, ständig verfügbar zu sein, ist jedoch eine starke Belastung für die sozialen Beziehungen und führt in den allermeisten Fällen zu ihrem Abbruch. Problematisch ist auch die Instabilität der Hinwendung zu anderen Menschen beim Borderliner. Das heißt: Erst idealisieren die Betroffenen ihr Gegenüber, dann entwerten sie es – und das im schnellen Wechsel. Dieses emotionale Wechselbad ist für die Partner der Borderliner nur schwer erträglich. Dies zeigt auch, dass der Borderliner im Unterschied zum Narzissten an seinen Mitmenschen zwar interessiert und mitfühlend ist, dass er sich aber ebenso wie der Narzisst nicht wirklich in andere Menschen hineinversetzen kann.
Ursachen beider Formen psychischer Erkrankung
Was die Ursachen der Borderline-Persönlichkeitsstörung und der narzisstischen Persönlichkeitsstörung betrifft, gibt es einige bemerkenswerte Unterschiede. So wirken bei der Entstehung der Borderline-Persönlichkeitsstörung genetische Faktoren, Störungen der Hirnfunktionen und Umwelt-Faktoren zusammen. Wesentlich sind hier traumatische Kindheitserfahrungen oder das Aufwachsen in einer chaotischen Umwelt. Im Einzelnen geht es hier um Erfahrungen schmerzhafter Trennung, bedrohlicher Vernachlässigung und Ablehnung oder auch massiver Traumatisierung durch sexuellen Missbrauch und durch physische oder psychische Misshandlung. Während also spätere Borderliner oftmals Erfahrungen psychischer und physischer Gewalt gemacht haben, scheinen spätere pathologische Narzissten eher unter psychischer Misshandlung gelitten zu haben. Das heißt: Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung sind nicht selten Kinder von ebenfalls narzisstisch gestörten Eltern, die einerseits grundlegende Bedürfnisse ihres Kindes nach Annahme und Bestätigung frustriert und andererseits besondere Begabungen des Kindes gefördert haben, so dass das Kind seitens der Eltern einem ständigen, in höchstem Maße verwirrenden, Wechsel zwischen Ablehnung und Bewunderung ausgesetzt worden ist.
Ist das Borderline-Syndrom eine "weibliche" Krankheit?
70 Prozent aller Patienten, die sich wegen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in Behandlung begeben, sind weiblich. Es könnte sich also dabei um eine "frauenspezifische Krankheit" handeln, während an der narzisstischen Persönlichkeitsstörung eher Männer erkranken. Experten vermuten jedoch, dass das "weibliche Übergewicht" beim Borderline-Syndrom eher darauf zurückzuführen ist, dass sich männliche Borderliner seltener in therapeutische Behandlung begeben. Männliche Borderliner werden eher straffällig, leben also ihre Krankheit in Straftaten aus und finden hier ein Ventil für ihre inneren Spannungen.
Der Umgang von Borderlinern und Narzissten mit ihrer Krankheit
Bemerkenswert sind die Unterscheide in der Art und Weise, wie Borderliner und Narzissten selbst auf ihre Krankheit reagieren. Während sich nämlich pathologische Narzissten zumeist für völlig gesund halten und hauptsächlich ihre Umwelt leidet, sind sich Borderliner in der Regel bewusst, dass sie schwer krank sind, und reagieren darauf mit Hilflosigkeit und Verzweiflung. Der Antrieb, Hilfe zu suchen, ist deshalb bei ihnen sehr groß. Es gibt allerdings auch Fälle, die zeigen, dass sich Borderliner unter bestimmten Umständen mit ihrer Krankheit arrangieren und daraus sogar einen Gewinn ziehen können. So ist für nicht wenige Schauspieler, Musiker und Künstler die Borderline-Persönlichkeitsstörung die Quelle ihres Schaffens. In diesem Zusammenhang gibt es die These, dass nicht der Ruhm krank macht, sondern dass die Borderline-Persönlichkeitsstörung berühmt macht. Meines Erachtens stellt sich allerdings die Frage, ob es sich bei Menschen, die im Showbusiness Karriere machen, tatsächlich um Borderliner handelt, oder ob man es hier nicht vielmehr mit pathologischen Narzissten zu tun hat, die zusätzlich Borderline-Züge entwickelt haben. Diese Kopplung des pathologischen Narzissmus mit den charakteristischen Zügen des Borderline-Syndroms gilt allerdings bei Experten als sehr problematisch. Das jähe Ende so mancher steilen Karriere überrascht deshalb nicht.
Die Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung kann mit speziellen Formen der Verhaltenstherapie und der Psychotherapie behandelt werden. Besonders bewährt haben sich die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) und die Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP). Bei der DBT lernen die Patienten, mit Hilfe von kleinen individuellen "Tricks" negative Emotionen früher wahrzunehmen, sie zu regulieren und auf unschädlichen Wegen abzubauen, also ihre Gefühle in normale Bahnen zu lenken, bevor sie außer Kontrolle geraten. Die TFP ermöglicht das symptomorientierte Durcharbeiten eingelernter, sich wiederholender, selbstschädigender Muster, so dass selbst-destruktive Handlungen schließlich weniger werden. Weitere psychotherapeutische Verfahren dienen dem Aufbau von Selbstsicherheit. Schließlich können mit einer Traumatherapie traumatische Erlebnisse bewältigt und in die eigene Lebensgeschichte integriert werden.
Fazit
Pathologischer Narzissmus und Borderline-Persönlichkeitsstörung sind die in der westlichen Gesellschaft der Gegenwart auf häufigsten auftretenden Formen psychischer Erkrankung. Beide Erkrankungen können als das Produkt eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels betrachtet werden, durch den, vereinfacht ausgedrückt, das einzelne Individuum zur neuen "Reproduktionseinheit des Sozialen" geworden ist. Und zwar scheinen pathologische Narzissten diejenigen zu sein, die sich dem gesellschaftlichen Wandel problemlos angepasst haben, während die Borderliner ungeschminkt das Elend zeigen, das Chaos in den menschlichen Seelen, das die radikale Individualisierung, die Auflösung traditioneller sozialer Bindungen, verursacht hat. De facto sind die psychischen Störungen, an denen die Narzissten leiden, nicht geringer, sie sind nur verdeckt.
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