Die heilige Kuh in Indien
Warum ist die Kuh im Hinduismus heilig und wird nicht gegessen? Von Kuh-Urin, Kuh-Hirtinnen, Kuhaltersheimen, einem Kuh-Personalausweis und vom Leben der Menschen mit den Tieren in Indien.Überall Kühe im Stadtverkehr
Wissen ist eine Sache, etwas erleben eine andere! Heilige Kühe waren uns aus dem Fernsehen durchaus ein Begriff, wie sie da auf den Straßen stehen. Als wir dann aber Kühe im Stadtverkehr sahen, waren wir doch ein wenig verblüfft. In aller Seelenruhe trotzen sie dem stärksten Verkehr, sitzen mitten auf der Kreuzung oder schlendern gemächlich umher. Wo unsere Rindviecher erschreckt weglaufen würden, bleiben sie einfach stehen. Ein Inbegriff der Ruhe, denn sie wissen es. Niemand hupt oder traut sich, sie verscheuchen. Egal wie dicht der Stau ist, alle Verkehrsteilnehmer bahnen sich ihren Weg um die Tiere herum.
Sie weichen auch dem Menschen nicht aus und wer ihnen nicht den nötigen Platz lässt, erhält einen Knuffer mit dem Horn - sicher kein gutes Zeichen für das eigene Karma.
Kühe hinterlassen auch Dung. Ein Zickzacklaufen auf der Straße ist angesagt, will man den Duft nicht am Schuh mit sich tragen. Während man sich bei uns über das Häufchen von Fiffi aufregt, welches sein Besitzer nicht weggeräumt hat, wird man hier mit anderen Größen belastet.
Futter ist in den Städten rar, also stibitzen sie ihre Nahrung an offenen Fenstern, auf Märkten oder durchwühlen den Hausmüll. Wenn sie Glück haben, werden sie von den Gläubigen gefüttert. Es soll gut für das Karma sein, sich um Kühe zu kümmern. Manche Hindus legen das erste gebackene Roti (Fladenbrot) auf das Fensterbrett oder bieten andere Leckereien an. Mit dem Füttern einer Kuh ehrt man Gott Krishna.
Heilige Kühe in Bikaner, Indien (Bild: Reisefieber)
Krishna und die Kuhhirtinnen
Die Geschichte der heiligen Kuh ist stark mit dem in Indien sehr beliebten Gott Krishna verbunden. Er ist die achte Inkarnation des Gottes Vishnu. Auf Bildern erkennt man ihn leicht an seiner Bambusflöte und der Pfauenfeder im Haar. Als Junge wächst Krishna in einem kleinen Dorf als Kuhhirte (Gopal) auf. Er spielt die Bambusflöte bei den Herden, um die Tiere zu erfreuen. Seinen Pflegeeltern macht er viele Streiche wie z.B. das Stehlen der Kleider der im Fluss badenden jungen Hirtenmädchen (Gopis) oder das Vereinnahmen der Butter (Ghee) aus dem Tontopf. Die Geschichte wird gern im klassischen indischen Tanz dargestellt.
Picture of Hindu Gods Krishna and Rada, India, Asia (Bild: Godong)
Im Westen ist Krishna durch die Hare-Krishna-Bewegung bekannt, die auch bei uns in ihren orangefarbenen Gewändern mit Musik, Büchern und kostenlosem vegetarischen Essen auf Festivals um ihre Sache warben.
Shiva und der Nandi
Die männliche Version, der Nandi (Stier) begleitet Gott Shiva und ist als Statue vor vielen Shivatempeln zu finden. Der Nandi ist das Reittier des mächtigen Gottes, die dritte Gottheit des indischen Pantheons. Als Shiva Nataraja, kosmischer Tänzer, symbolisiert er die Schöpfung, Bewahrung und Zerstörung der Welt.
Gott Shiva mit Nandi
Warum ist die Kuh wichtig für die Menschen?
Eine Kuh erfüllt im Leben der Inder viele Zwecke. Sie versinnbildlicht die Erde. Als Mutter allen Lebens ist sie sehr nützlich.
- Sie gibt Milch, die zu Joghurt und Butterschmalz (Ghee) verarbeitet wird oder im indischen Tee gut schmeckt. Inder trinken zum Frühstück gerne warme, gesüßte Milch. Ghee und Joghurt werden auch für religiöse Opfergaben benötigt.
- Ihr Dung wird in trockenen Gegenden wie z.B. in den Wüsten Rajasthans als Brennmaterial verwendet. Das ist sehr biologisch und schützt den Baumbestand vor Abholzung. Der Boden und die Wände einfacher Hütten werden seit Jahrhunderten mit einem Gemisch aus Dung und Stroh bestrichen. Es isoliert und schützt vor Insekten. Die Felder werden mit Kuhmist gedüngt.
- Sie ist ein Nutztier und hilft bei der Bestellung der Felder oder zieht einen Karren oder das indische Wasserrad am Brunnen.
Die heilige Kuh in Indien. |
Diese beiden wohlgenährten Exemplare im ländlichen Indien machen sich nützlich. Sie ziehen ein Wasserrad, welches Wasser aus einem tiefen Brunnen an die Oberfläche transportiert.
Kühe auf dem Land, Indien (Bild: Reisefieber)
Kuh-Urin als Heilmittel
Selbst der Urin einer Kuh wird genutzt. Die Miniaturmaler stellen z.B. eine Farbe daraus her. Raten Sie mal welche? Nein, die Farbe Grün ist es nicht! Wie der Morgenurin soll auch Kuh-Urin desinfizierend wirken. Im Ayurveda wird Gomutra (Urin der Kuh) zur Heilung verwendet. Sie wird bei Hautkrankheiten, Diabetes oder sogar Krebs in Getränken oder Cremes gereicht.
Für uns mag das befremdlich sein, aber wenn es nützt! Auch in Produkten aus Deutschland ist Urea (Harnstoff) enthalten. Es wird z.B. in Kosmetika für trockene Haut benutzt, um die Feuchtigkeitsbindung zu verbessern. Menschen, die an Neurodermitis erkrankt sind, cremen sich mit Pflegeprodukten mit Urea ein. Lesen Sie mehr zu Urea bei der Autorin Ultimapalabra.
Harnstoff ist auch in Zigaretten oder Lebensmitteln wie Kaugummi als Zusatzstoff enthalten.
In 2009 ging eine Nachricht um die Welt, dass man in Indien gar einen Softdrink aus Kuh-Urin auf den Markt bringen wolle. Was daraus geworden ist und ob die Nachfrage hoch war, vermag ich leider nicht zu sagen.
Warum darf die Kuh nicht gegessen werden?
Die meisten Inder sind als Hindu Vegetarier und in vielen indischen Bundesstaaten ist das Essen von Rindfleisch verboten. Eine Ausnahme bilden die Bundesstaaten mit mehrheitlich christlicher oder muslimischer Bevölkerung. Das Leben ist eine lange Reihe von Geburt, Tod und Wiedergeburt. Im diesseitigen Leben sammelt man durch gute Taten und ein rechtschaffenes Leben Pluspunkte für das nächste Leben (Karma). Je nachdem wie man lebte, kann man als Tier oder in einer höheren Lebensform als Mensch wiedergeboren werden z.B. auch als Kuh. Vereinfacht gesagt, abgesehen davon, dass die Kuh heilig ist, könnte sie auch die wiedergeborene Tante Hilde sein.
Auch für die Wiedergeburt ist die Kuh wichtig. Nach dem hinduistischen Glauben kann man den Himmel nur erreichen, in dem man beim Überqueren des mythologischen Flusses, sich am Schwanz einer Kuh festhält.
In Indien bestand schon eine Agrargesellschaft, als man in anderen Ländern der Welt noch nomadische Lebensformen hatte. Kühe waren Reichtum, man konnte mit ihnen bezahlen, als es noch kein Geld gab oder sie tauschen. Kühe dienten der Mitgift bei Heirat, als Abgabe beim Steuereintreiber oder als wertvolles Geschenk im Tempel, um sich ein gutes Karma für das nächste Leben zu erwirken. So werden Kühe schon in alten vedischen Texten, den Puranas erwähnt.
Eines der wertvollsten Dinge, die in der Mythologie entstand, war hier die Kuh, die alle Wünsche erfüllt: Kamdhenu. Die Mutter aller irdischen Kühe erfüllt ihrem Besitzer alle Wünsche. Wir im Westen kennen das z.B. bei den Wünschen an das Universum, bei denen man seine geheimen Träume und Ideen anmeldet, damit sie in Erfüllung gehen.
Lkw mit Kuhmotiv, Indien
Wem gehören die vielen Kühe auf den Straßen?
Für uns verwunderlich ist die Tatsache, dass die Kühe nicht auf einer eingezäunten Weide zum Grasen stehen, sondern frei herumlaufen. Warum ist das so? Für Hindus gilt es als Schicksalsschlag, wenn eine Kuh im eigenen Haus bzw. Stall stirbt. Der Besitzer muss dann eine Pilgerfahrt zum Ausgleich der Sünden antreten und die Brahmanen nach seiner Rückreise reichlich bewirten. Also zieht der Besitzer es lieber vor, die ältere Kuh auf die Straße zu schicken, wenn sie nicht mehr von Nutzen ist.
Gaushala - ein Altersheim für Kühe
Indien ist ein widersprüchliches Land. Während Menschen auf der Straße hungern, wird für die Kühe gesorgt. So ist es nicht verwunderlich, dass es in Indien Altersheime für Kühe gibt. In diesen Heimen werden altersschwache Tiere aufgenommen und versorgt. Sie erhalten ein Dach über dem Kopf, ordentliche Verpflegung und Tierärzte pflegen sie, wenn sie krank sind. Auch verwundete Kühe werden in die Heime gebracht und medizinisch versorgt und wieder aufgepäppelt.
Die Kuhaltersheime werden meist von der All India Gaushala Federation unterhalten, einer gemeinnützigen Hindu-Organisation. Die Kosten werden durch Spenden der Menschen getragen. Außerdem werden die Abfälle zu Biogas verarbeitet.
Indische Schlachthöfe für Kühe - ein Ausweis für die Kuh
Andererseits werden auch in Indien mittlerweile Kühe geschlachtet. So soll es eine große Anzahl illegaler Schlachthöfe geben, die Rindfleisch auch nach Hause liefern. Das Schlachten der Tiere steht in den meisten Bundesstaaten unter Strafe. Manche Tiere werden in andere Länder wie Bangladesch oder andere indische Bundesstaaten gebracht, bei denen die Bevölkerung mehrheitlich muslimisch oder christlich ist. Rindfleisch ist in Bangladesch teurer als in Indien. Das macht das Geschäft lukrativ. Indien ist weltweit zweitgrößter Exporteur von Rindfleisch, auch die Lederindustrie profitiert davon. Indien - das Land der Widersprüche. Es gibt alles und nichts und immer auch wieder das Gegenteil davon.
Manchmal findet Kuh-Napping statt, die Kuh wird auf der Straße einfach gekidnappt und zu einem illegalen Schlachthof in einem Hinterhof gefahren. Das Fleisch wird weiterverkauft oder unter das legale Büffelfleisch gemischt. (Quelle: SWR)
Sogar mit Kuhausweisen versucht man an den Grenzen dem Problem beizukommen. Diesen Ausweis tragen Kühe in Form einer laminierten Plastikkarte an ihrem Horn, damit Schmuggler nicht mit vier Kühen zu Fuß die Grenze übertreten, aber mit zweien zurückkommen. Sie werden dafür mit dem Besitzer fotografiert. Der Ausweis enthält ferner die Größe, das Geschlecht sowie besondere Merkmale des Tieres. Andere wollen mit Microchips die Wege der streunenden Kühe verfolgen.
Ein Kuhminister in Indien
In welchem Land der Welt kann es sonst einen eigenen Minister für Kuh-Angelegenheiten geben? Den Hindus ist das illegale Schlachten ihrer Kühen ein Grauen. Im Wahlkampf wurde das Thema aufgegriffen. Die Hindu-Partei Bharatiya Janata Party (BJP) will dagegen einschreiten, selbst eine Kuh-Universität sowie ein Kuh-Sanatorium sind geplant. In Rajasthan ist der Kuh-Minister Wirklichkeit geworden. Herr Otaram Devasi leitet das Amt in Jaipur. Weitere Minister sollen folgen.
Sind die Kühe in Indien glücklich?
Das müssen Sie die Kühe eigentlich selbst fragen. Was ihnen häufig fehlt, sind grüne saftige Weiden mit bestem Futter. Im Vergleich zur Massentierhaltung bei uns sind sie mit Sicherheit glücklicher. Im Verhältnis zu den Schlachttieren leben sie auch länger, wenn vielleicht auch ein bisschen kärglicher. An guten Tagen werden sie von den Menschen mit Süßigkeiten und Futter verwöhnt. Aber haben die Kühe eine Wahl? Vielleicht werden sie ja im nächsten Leben als Kuh in Indien wiedergeboren.
Bildquelle:
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