Die Nackten und die Schönen
Für Jungs und für Mädels: Zwei Fotobände stellen den menschlichen Körper in den MittelpunktJetzt bemüht er schon Shakespeare als Erklärung für seine Ausflüge in die elegante und manchmal auch etwas krassere Erotik: "Lovers and Madmen" nennt der Fotograf Roy Stuart seine jüngsten Exkursionen in das Reich der Lüste. "Verliebte und Verrückte", zitiert er aus dem "Sommernachtstraum", "sind beide von so brausendem Gehirn, so bildungsreicher Phantasie, die wahrnimmt, was nie die kühlere Vernunft begreift".
Mit kühler Vernunft wird man die erotischen Fotografien vermutlich nicht betrachten – und wenn doch, kommt man schnell zu der Erkenntnis, dass der in Paris lebende Amerikaner Roy Stuart eigentlich auch nur noch mit Wasser kocht – will sagen, dass er anfängt sich zu wiederholen. Und daher wird das Gehirn beim Blättern durch den wie immer edel gemachten Band kaum "ins Brausen" geraten.
Hinter dem neuen Titel verbergen sich die alten Inhalte. Die Models – viele kennt man bereits aus den insgesamt sechs Vorgängerbänden – sind wie immer schön und jung, sie zeigen freimütig, was sie haben (und auf der beigefügten CD auch, was sie können) – aber eine Weiterentwicklung des Fotografen zeigen die Bilder eben nicht. Die Mädchen und Frauen werden im altvertrauten Ambiente von eleganten Wohnungen, Parks und Straßen inszeniert, meistens allein, oft zu zweit oder mit noch mehr Beteiligten, und auffallend häufig sind dieses Mal auch männliche Teilnehmer im Spiel. Aber wirklich Neues, Überraschendes bleibt das Buch schuldig. Immerhin bemüht der Band neben Shakespeare und Dichtern wie Emily Dickinson, Robert Browning und Jacques Prévert auch den Phsyiker Stephen Hawking: "Die Weiblichkeit ist ein Mysterium, das größer und unergründlicher ist als die Geheimnisse des Kosmos und rätselhafter als schwarze Löcher:" Was für eine Steilvorlage! Aber nein, wir werden sie an dieser Stelle nicht für irgendwelche Witze missbrauchen …
Während im Mittelpunkt von Roy Stuarts Fotografien schöne Frauen stehen, konzentrierte sich ein gutes halbes Jahrhundert vor ihm ein Landsmann von ihm auf seine Geschlechtsgenossen: Bob Mizer (1922 – 1992). Das war im Nachkriegsamerika gar nicht so ungefährlich. Alles, was im geradezu paranoid verklemmten "God's own country" nicht der "Norm" entsprach, wurde als Werk des Teufels verdammt, und derjenige, der ihm dabei zur Hand ging, bekam heftig auf die Finger – oder sogar eine Gefängnisstrafe. Was den bekennenden Homosexuellen Mizer (seit er fünfzehn war, wusste er, dass er sich nicht für Mädchen interessierte) nicht davon abhielt, seiner Leidenschaft zu frönen. Unter dem Deckmantel eines "Sportmagazins" veröffentlichte er 1951 die erste Ausgabe seiner Zeitschrift "Physique Pictorial", das erste Schwulenmagazin in den USA überhaupt, das sofort reißenden Absatz fand und von den Moralaposteln natürlich misstrauisch beäugt wurde. Seine Objekte fand er zunächst am "Muscle Beach" in Santa Monica, einem 1934 eingerichteten Strand, der, ausgestattet mit zahlreichen Sportgeräten, Turner, Ringer und Akrobaten anlockte und nach dem Zweiten Weltkrieg auch Bodybuilder. Viele ließen sich gern von Mizer ablichten, und sie alle fanden Eingang in seine "Athletic Model Guild", wie der Fotograf sein 1945 in Kalifornien gegründetes Unternehmen nannte.
1967 – Mizer hatte inzwischen Tausende von Jünglingen vor der Linse gehabt – kam ein Bundesrichter zu dem revolutionären Schluss, dass "die Rechte von Minderheiten, individuell in sexuelle Gruppen oder auf andere Weise zum Ausdruck gebracht, respektiert werden müssen". Der Entsetzensschrei der Puritaner hallte von der Ost- bis an die Westküste. Für den eifrigen Fotografen war das Urteil jedoch die Chance, bei seinen Fotos ab sofort auch auf die kleinen Stoffbeutel zu verzichten, in denen die Jungs ihr bestes Stück sowie die Familienjuwelen eingepackt hatten. (Die Beutelchen soll übrigens Mizers Mutter genäht haben, die keinerlei Probleme mit der sexuellen Ausrichtung ihres Sohnes hatte – solange er sie nicht öffentlich zur Schau stellte.)
Zu Mizers bekanntesten Objekten gehörten Joe Dallessandro, den Andy Warhol später zum Star seiner Underground-Filme machte, und Arnold Schwarzenegger, Ex-Bodybuilder, Ex-Schauspieler und Ex-Gouverneur von Kalifornien. Auch der homosexuelle Maler David Hockney ließ sich von Mizers Bildern inspirieren – genauer gesagt von einer Serie von Aufnahmen, die Männer unter der Dusche zeigen. Sie veranlassten den Briten zu einem seiner berühmtesten Gemälde: "Boy about to take a shower" aus dem Jahr 1964.
Dieses Archiv mit mehr als einer Million Negativen hat die Herausgeberin Dian Hanson nun durchforstet und zwei üppige Bände damit gefüllt, die der Kölner Taschenverlag im Schuber anbietet. Über das, was damals als gewagt und obszön galt, würde sich heute niemand mehr echauffieren. Mizer inszeniert seine Jungs als griechische Statuen, römische Krieger, Indianer mit Pfeil und Federschmuck, antike Götterboten oder als kernige Sportler im hautnahen Zweikampf. Das Ganze ist nicht ohne (unfreiwillige) Komik und amüsiert eher, als dass es die erotischen Sinne kitzelt. Aber genau das macht schließlich auch den Charme dieser unschuldigen "Exzesse" aus.
© Rainer Nolden
Roy Stuart, Lovers and Madmen, (Deutsch, Englisch und Französisch), Edition Skylight, 320 Seiten plus CD, 39,95 Euro.
Bob Mizer, AMG: 1000 Model Directory (2 Bde., Deutsch, Englisch und Französisch), hrsg. von Dian Hanson, Taschen Verlag, 551 und 495 Seiten plus CD, 74,99 Euro.
Lovers and Madmen (Bild: Roy Stuart/Edition Skylight)
Bildquelle:
W. Zeckai
(Wie macht man eine Lesung erfolgreich?)