Die Beobachtung der Natur zeigt, dass alles einem bestimmten Rhythmus unterliegt. Es gibt kein Phänomen, das einen klaren Anfang und ein eindeutiges Ende aufweist. Alles ist ein ständiger und überdauernder Prozess der Wandlung. Besonders offensichtliche Rhythmen sind der Wechsel von Tag und Nacht, von Sommer und Winter, von Leben und Tod – von Werden und Vergehen im Allgemeinen. Jeder Anfang ist zugleich das Ende von etwas anderem – und umgekehrt. Das Einatmen ist mit dem Ausatmen verbunden, und das Ausatmen bedarf des Einatmens. Solche immer wiederkehrenden Zyklen lassen sich auch innerhalb des eigenen Körpers, nämlich an der Organaktivität, erkennen.

Meridiane - Energieleitbahnen im Körper (Bild: Sabine Weiße / pixelio.de)

Die Verbundenheit des Menschen mit der Welt

Der Mensch, auch wenn er sich oftmals anders erfährt, ist kein isoliertes Wesen auf diesem Planten. Er steht unmittelbar mit seiner Umwelt in Verbindung. Er richtet sich auf die Tages- und Nachtzeiten ein, er lebt mit den Jahreszeiten und sein Körper wird von der Umwelt beeinflusst. Beispielsweise erneuert sich die Haut alle vier Wochen, weil eine Hautzelle nur 28 Tage alt wird und sich dann abschuppt. Dieser Zeitraum von vier Wochen entspricht dem Mondrhythmus. Ist der Rhythmus der Hauterneuerung nicht ausgeglichen, kommt es zu Störungen, die sich zum Beispiel in Ekzemen oder in Schuppenflechte äußern. Auch der weibliche Zyklus entspricht dem Mondzyklus: Die Gebärmutterschleimhaut wird alle 28 Tage ausgestoßen und erneuert.

                                                      

Wenn der Mensch begriffen hat, dass er ein Teil des Ganzen ist, dann kann er sich den natürlichen und immer wiederkehrenden Prozessen einordnen und ein gelasseneres und gesünderes Leben führen. Er weiß, worauf er achten muss und er erkennt Veränderungen, bevor diese eintreten, weil er der Zyklen der Natur rechtzeitig erkennen und deuten kann.

Die Organuhr und die Organsysteme

Wenn von Organen zu lesen ist, dann sind damit nicht nur die einzelnen Organe gemeint, sondern ganze Energieleitbahnen, die mit dem jeweiligen Organ in Verbindung stehen. Nach der Sichtweise der Traditionellen Chinesischen Medizin sind die Organe nicht etwa voneinander unabhängig, sondern direkt aufeinander bezogen.

 

Die Zuordnung der Organsysteme wird meist mit einem Uhrenschema dargestellt. Jedem Meridian wird eine Periode von zwei Stunden zugewiesen. Geringfügige Änderungen sind möglich.

 

Die Organuhr beginnt mit der Lunge. Ihre stärkste Aktivität findet zwischen 3 und 5 Uhr statt. Die schwächste Aktivität ist zwischen 15 und 17 Uhr. Der Dickdarm hat seine stärkste Aktivität zwischen 5 und 7 Uhr. Zwischen 17 und 19 Uhr ist die schwächste Aktivität des Dickdarms. Als drittes Organ folgt der Magen zwischen 7 und 9 Uhr mit seiner stärksten Aktivität. Die schwächste Aktivität liegt zwischen 19 und 21 Uhr. Die Milz mit der Bauchspeicheldrüse zeigt ihre stärkste Aktivität zwischen 9 und 11 Uhr. Die schwächste Aktivität liegt zwischen 21 und 23 Uhr. Das Herz ist zwischen 11 und 13 Uhr am stärksten – am schwächsten ist es zwischen 23 und 1 Uhr. Zwischen 13 und 15 Uhr ist der Dünndarm am stärksten. Seine schwächste Aktivität ist zwischen 1 und 3 Uhr. Die stärkste Aktivität der Harnblase liegt zwischen 15 und 17 Uhr – ihre schwächste Aktivität zwischen 3 und 5 Uhr. Die Zeit zwischen 17 und 19 Uhr ist die Zeit der stärksten Nierenaktivität. Zwischen 5 und 7 Uhr ist die Niere am schwächsten. Der Kreislauf ist zwischen 19 und 21 Uhr am höchsten. 7 bis 9 Uhr ist er dagegen am schwächsten. Die stärkste Aktivität des dreifachen Erwärmers liegt zwischen 21 und 23 Uhr vor. Die schwächste Aktivität dieses Organs ist zwischen 9 und 11 Uhr. Die Gallenblase zeigt ihre stärkste Aktivität zwischen 23 und 1 Uhr – ihre schwächste Aktivität liegt zwischen 11 und 13 Uhr. Die stärkste Aktivität der Leber ist zwischen 1 und 3 Uhr. Die schwächste Aktivität der Leber ist zwischen 13 und 15 Uhr.

 

Dass mit dem Organsystem nicht nur tatsächlich greifbare Organe gemeint sind, wird beispielsweise beim "Dreifachen Erwärmer" deutlich. Dabei handelt sich nämlich nicht um ein Organ im westlich-physiologischen Sinn. Der "Dreifache Erwärmer" ist nach chinesischer Sicht ein Organ mit Funktion, aber ohne Form. Er regiert über alle Schutzfunktionen des Körpers und ist Koordinator der Energiekreisläufe. Um positiv auf die Organsysteme einwirken zu können, sind die Besonderheiten zu berücksichtigen, die mit den betroffenen Organen und mit den zyklustypischen Eigenheiten zusammenhängen. Grundlegend muss dabei auf die Zusammengehörigkeit der Organe in Organpaaren hingewiesen werden:

 

Lunge – Dickdarm

Magen – Milz und Bauchspeicheldrüse

Herz – Dünndarm

Blase – Niere

Gallenblase – Leber

Die Organuhr im Alltag

Die Kenntnisse um den Zyklus der Organe ermöglichen eine intensivere Körperwahrnehmung. Wenn man auf die Körpersignale achtet und sie im Zusammenhang mit der Organuhr deutet, so können Auffälligkeiten bestimmter Organe ausfindig gemacht werden. Wenn man beispielsweise jede Nacht zu einer bestimmten Uhrzeit wach wird oder wenn man tagsüber immer wieder zu einem bestimmten Zeitpunkt ganz bestimmte Probleme hat, dann kann ein Blick auf die Organuhr helfen, um herauszufinden, welches Organsystem betroffen ist und wie das Symptom zu bewerten ist. Für eine genaue Diagnose sind jedoch weitreichende Kenntnisse und Erfahrungen in der Traditionellen Chinesischen Medizin erforderlich.

 

Wenn man zum Beispiel nachts zwischen vier und fünf Uhr aufwacht und auf Toilette muss, dann ist das ein Hinweis darauf, dass der Energiehaushalt der Lungen und/oder Bronchien nicht im Gleichgewicht ist. Das Wissen um die Organuhr kann im Alltag sehr hilfreich sein. Man kann die Regeneration unterstützen und Organfunktionen überprüfen. Ein sicherer Umgang mit der Organuhr ermöglicht sogar Aussagen über das vegetaive Nervensystem zu treffen. Man kann die Ernährung den Körperbedürfnissen anpassen und den Alltag an der inneren Uhr der Organe ausrichten, so dass jeder Zyklus optimal verlaufen kann. Reisen in andere Zeitzonen sowie die Umstellung von Winter- und Sommerzeiten führen nicht selten zu körperlichen Problemen, weil die äußere Uhr und die innere Uhr nicht mehr aufeinander abgestimmt sind.

Literatur

William Diamond: The Clinical Practice of Complementary, Alternative, and Western Medicine. CRC Press, Boca Raton 2001.

 

Lothar Ursinus: Die Organuhr leicht erklärt. Schirner Verlag, Darmstadt 2009.

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