Ein Gesicht lugt zwischen nackten Schenkeln hindurch. Im Mund einer Frau steckt eine langstielige rote Rose, deren Knospe die Vagina einer anderen Frau bedeckt, die über ihr steht. Das männliche Gegenstück findet sich einige Seiten weiter: Ein Mann hält eine Tulpe zwischen den Zähnen, deren weiße Blütenblätter die Eichel seines erigierten Penis umhüllen. Ein Leguan sitzt auf der nackten Schulter eines Mannes; ein kleiner Frosch auf dem Auge einer Frau. Junge Menschen hangeln sich nackt und affengleich am Geäst von Bäumen entlang. Hände mit rotlackierten Fingernägeln ranken sich blütengleich an einem menschlichen Körper hoch. Ein Kopf, scheinbar losgelöst vom Körper, ist in eine Astgabel gebettet. Körper, die, eng nebeneinander gelegt, an eine dünenreiche Wüstenlandschaft erinnern. Männliche und weibliche Genitalien werden geschmückt mit Blüten, Schmetterlingen und Früchten – und damit in einen geradezu poetischen Kontext gebracht.

Aktfotografie, auch der explizitesten Art, hat ihre Schockmomente längst hinter sich gelassen. Jedenfalls im westlichen Teil der Welt. In China haben Künstler, die vom menschlichen Körper besessen sind, durchaus noch mit Schwierigkeiten zu kämpfen, wenn sie ihre Objekte in die Öffentlichkeit bringen. Ren Hang, Jahrgang 1987, ein von der Statur her ganz und gar nicht angriffslustig wirkender Mensch, gehört dennoch zur Speerspitze jener Künstler, die sich vehement für die Freiheit ihrer Ausdrucksmöglichkeiten einsetzen. "Wenn ich Grenzen überschreite, tue ich das nicht vorsätzlich", sagt er. "Das, was ich tue, mache ich einfach."

Und das hat viel mit Sex zu tun. Ren Hang fotografiert seine Freunde, meist nackt, allein, zu zweit, zu vielen, und es gelingt ihm, sie zu Aktionen zu überreden, die man gemeinhin unter Ausschluss der Öffentlichkeit begeht. Und er fotografiert auch: die Einsamkeit, die Melancholie, die Trauer - und die Angst, die mit ihnen einhergeht.

Viele seiner Bilder verblüffen durch ihre Effekte: es gibt Fotografien, die sind ironisch gebrochen, voll skurrilem Humor, rätselhaft und, ja, auch pornografisch – aber es ist eine seltsam "unschuldig" wirkende Pornografie, der er quasi eine philosophische Basis mitgibt. Auf die Frage, warum er so viele erigierte Penisse ablichtet, antwortet der Fotograf: "Ein Penis ist hässlich, wenn er schlaff ist. Nur wenn er steif ist, spürst du seine Existenz."

Sich seiner Existenz voll bewusst zu sein: Auch das ist ein Anliegen von Ren Hang, der weiß, wovon er spricht. Immer wieder, auch seitdem er erfolgreich ist, wird er von Schüben schwerster Depressionen heimgesucht. Inzwischen spielt er auf dem internationalen Kunstmarkt mit. Ausstellungen seiner Fotografien gab es bereits in New York, Amsterdam, Wien, Berlin, sogar in Moskau und, ja, auch in Peking und Schanghai. © Rainer Nolden

Ren Hang, herausgegeben von Dian Hanson. Taschen Verlag Köln, 312 Seiten, 39,99 Euro.

 

 

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