Reste der Überflussgesellschaft (Bild: Dennis/Pixabay.com)

Wohlstandsmüll (Bild: Guenter Hamich/pixelio.de)

Unkenntnis bezüglich des Mindeshaltbarkeitsdatums

Wenn man sich mit der Frage beschäftigt, warum die Verbraucher so viele Lebensmittel kaufen, die sie später gar nicht verzehren, ist eine wichtige Ursache die Unkenntnis bezüglich des Mindeshaltbarkeitsdatums. So nannten bei einer Befragung im Auftrag des Verbraucherschutzministeriums im Januar 2011 84 Prozent der Befragten als Grund, warum sie Lebensmittel wegwerfen, das Haltbarkeitsdatum sei abgelaufen oder die Lebensmittel seien verdorben gewesen. 19 Prozent nannten zu große Packungen als Ursache, und 16 Prozent werfen Lebensmittel weg, weil sie ihnen nicht schmecken. Viele befördern ein Nahrungsmittel also schon dann in den Müll, wenn das Mindeshaltbarkeitsdatum überschritten ist. Ich möchte dieses ignorante Verbraucherverhalten an Hand eines konkreten Beispiels belegen. Und zwar kaufe ich regelmäßig in einem großen Supermarkt ein, in dem täglich größere Mengen an Nahrungsmitteln, vor allem Milchprodukte wie Joghurt, ausrangiert werden, weil das Mindeshaltbarkeitsdatum fast erreicht ist. Diese Waren, darunter wirklich hochwertige Produkte, sind superbillig, manchmal kosten sie nur ein paar Cent. Für mich ist es immer interessant zu beobachten, wie die Leute danach greifen, aber die Waren dann "mit spitzen Fingern" wieder zurückstellen, so als ob es sich dabei um etwas Minderwertiges handeln würde. In Wirklichkeit sind diese Produkte noch superfrisch, weil das Mindeshaltbarkeitsdatum ja noch gar nicht erreicht ist. Und das Mindeshaltbarkeitsdatum ist auch kein Verfallsdatum. Das heißt: Auch wenn die Frist überschritten ist, sind die Waren in der Regel noch genießbar. Es gibt nun lediglich keine Garantie mehr auf Geruch, Geschmack, Farbe und Konsistenz. Statt sich auf das Mindesthaltbarkeitsdatum zu verlassen, kann man den Zustand der Ware auch mit einer Geruchs- und Geschmacksprobe selber herausfinden. Ich habe jedenfalls die Erfahrung gemacht, dass diese Lebensmittel auch nach Ablauf des Mindeshaltbarkeitsdatums noch einige Tage frisch sind.

Plan- und zielloses Einkaufsverhalten

Ein anderer wesentlicher Grund dafür, dass viele Konsumenten Nahrungsmittel kaufen, die sie nachher gar nicht verbrauchen, besteht darin, dass sie nicht nach Bedarf einkaufen. Sie haben mit anderen Worten nicht vorher nachgeschaut, was fehlt und was sie deshalb nachkaufen müssen, und sie haben sich auch keine Gedanken darüber gemacht, was in den nächsten Tagen "auf den Tisch kommen soll". Das heißt, sie kaufen das, was ihnen im Laden "ins Auge sticht", worauf sie vielleicht gerade Appetit haben oder was gerade im Angebot ist. Vielleicht haben sie auch gerade einen leeren Magen und kaufen deshalb zu viel. Ich glaube, dass die Bundesbürger generell dazu neigen, viel mehr zu kaufen, als sie verzehren können. So fällt mir immer wieder auf, wie Einzelpersonen oder Paare eine solche Menge an Lebensmitteln kaufen, als ob sie "unzählige Mäuler zu stopfen hätten" oder als ob eine Hungersnot bevorstünde. Mir geht dann immer die Frage durch den Kopf: "Wer soll das alles essen?" Alleine die Menge an leicht verderblichen Waren wie Milchprodukten ist manchmal so groß, dass ich mich frage, in welchen Kühlschrank das hineinpassen soll. Ähnliche Beobachtungen kann man machen, wenn Feiertage wie Weihnachten oder Ostern bevorstehen, wenn die Bundesbürger also an mehreren Tagen hintereinander nicht einkaufen können. Viele schieben dann nämlich vor den Feiertagen übervolle Einkaufswagen zur Kasse, aber danach komischerweise auch, so als ob sie an den Feiertagen die riesigen Mengen, die sie vorher gekauft hatten, bereits verzehrt hätten. Vermutlich ist davon Einiges schon im Müll gelandet, weil es ihnen nicht mehr frisch genug war.

Fleisch im Überfluss (Bild: Karamo/Pixabay.com)

Obst in Hülle und Fülle (Bild: werner22brigitte/Pixabay.com)

Lebensmittel sind (für Viele) zu billig

Dass die Bundesbürger so achtlos mit Lebensmitteln umgehen, könnte auch daran liegen, dass in Deutschland Lebensmittel schlicht und einfach zu billig sind, verglichen mit früheren Zeiten. So geben die Bundesbürger nach Angaben des Statistischen Bundesamts nur noch elf Prozent ihres jährlichen Haushaltsbudgets für Lebensmittel aus. In den 60er-Jahren lag dieser Anteil noch bei 50 Prozent. Das heißt: Wenn jemand für den Kauf von Lebensmitteln einen großen Teil seines Einkommens aufwenden muss, haben diese für ihn eine ganz andere Bedeutung, als wenn er sie sozusagen "aus der Portokasse bezahlen kann". Deshalb kann man auch davon ausgehen, dass die Menschen in Deutschland, die so arm sind, dass sie nahezu ihr gesamtes Einkommen für Lebensmittel ausgeben müssen, keine oder nur wenig Lebensmittel wegwerfen. Auch in Entwicklungsländern müssen die Menschen einen Großteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel aufwenden. Entsprechend gering ist dort die Nahrungsmittelverschwendung.Folglich ist der Anteil der Verbraucher am anfallenden Nahrungsmittelmüll desto höher, je größer der Wohlstand eines Landes ist.

Die Auswirkungen auf die Dritte Welt und das Weltklima

Geradezu perfide ist, dass die Verschwendungssucht der einen Milliarde privilegierter Erdbewohner für den großen weniger privilegierten Rest der Weltbevölkerung die Lebensmittelpreise in die Höhe treibt. Das heißt: Da die Ära der Nahrungsmittelüberschüsse vorbei ist und die Märkte durch die Globalisierung zusammengewachsen sind, wird der Preis für Nahrungsmittel von der Nachfrage auf dem Weltmarkt bestimmt. Deshalb trägt die massive Verschwendung dazu bei, dass weltweit die Preise für Lebensmittel, besonders für Grundnahrungsmittel, auf einem Höchststand sind, so dass viele Menschen in der Dritten Welt die Preise für Grundnahrungsmittel nicht mehr bezahlen können. Folge sind Hungersnöte. Vor diesem Hintergrund finde ich es besonders verwerflich, dass alleine in Deutschland jedes fünfte Brot – das sind 500000 Tonnen und damit zehn Prozent der Tagesproduktion der Bäckereien – im Müll landet. Dieses Wegwerfverhalten verursacht aber auch massive Umweltprobleme. Das heißt: Die Mülldeponien auf der ganzen Welt, auf denen die Berge weggeworfener Lebensmitteln verrotten, erzeugen 15 Prozent des Methans, das in die Atmosphäre gelangt. Und dies ist 40-mal klimaschädlicher als Kohlenstoffdioxid.

"Traumberuf" Kassiererin (Bild: Stefan Bayer/pixelio.de)

Die Welt im Kaufrausch (Bild: Thorben Wengert/pixelio.de)

Containern und Dumpstern - Freeganismus

Allmählich regt sich jedoch Widerstand gegen den geradezu frevelhaften Umgang mit Lebensmitteln. Die Haltung mancher Verbraucher ändert sich. Vorreiter dieses Einstellungswandels sind die "Müllsucher" bzw. "Mülltaucher", die in Mülltonnen und Abfallcontainern von Supermärkten nach Essbarem suchen, um damit gegen die Nahrungsmittelverschwendung zu protestieren. Das heißt: Die Suche nach Essbarem im Müll – man spricht in diesem Zusammenhang auch von "Containern" oder "Dumpstern" – ist Ausdruck einer bewussten Protesthaltung, mit der die Akteure eher unkritische Verbraucher wachrütteln und die Auswüchse der Wegwerfgesellschaft anprangern wollen. Daraus ist eine Bewegung entstanden, die als Freeganimus bezeichnet wird. Das heißt: Freegans (abgeleitet von engl. free für "frei" und vegan für eine Lebensweise, die die Nutzung von Tieren und tierischen Produkten ablehnt) sind Menschen, die sich als Boykotteure der Überfluss- und Wegwerfgesellschaft sehen, die für sie das Resultat eines ökonomischen Systems ist, bei dem das Gewinnstreben über ethischen Gesichtspunkten steht. Freegans wollen mit anderen Worten den negativen Einfluss des Einzelnen auf die Umwelt, die Tierwelt und das menschliche Leben durch eine weitgehende Verweigerung der Teilnahme an einer kapitalistischen Volkswirtschaft verringern, wobei sie versuchen, möglichst kostenlos zu leben, um die damit zwangsläufig einhergehende materielle Not zu vermeiden.

Fazit

Die enorme Verschwendung von Lebensmitteln ist – neben der Massentierhaltung - eine weitere gravierende Fehlentwicklung der auf einer kapitalistischen Produktionsweise beruhenden Industriegesellschaft. Verhängnisvoll erscheint deshalb generell das Prinzip "Masse statt Klasse", das auf dem Wachstumswahn des Kapitalismus beruht. Und wie bei der Massentierhaltung haben es die Verbraucher auch bei der Verschwendung von Nahrungsmitteln in der Hand, diesen Fehlentwicklungen Einhalt zu gebieten oder zumindest ihre Auswirkungen zu verringern. Und zwar sollte jeder zunächst einmal sein Kaufverhalten überprüfen, also versuchen, den Verlockungen zum Masseneinkauf im Supermarkt zu widerstehen. Jeder sollte mit anderen Worten weniger und dafür bewusster einkaufen. Und jeder sollte sich klarmachen, wie viel Arbeit und Mühe es kostet und wie viel Ressourcen benötigt werden, um ein hochwertiges Nahrungsmittel herzustellen. Das heißt: Nahrungsmittel müssen wieder eine höhere Wertschätzung erfahren.

Bildnachweis

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