Mythen – die Göttersagen und Heldensagen

Sowohl Göttersagen als auch Heldensagen unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht von der Volkssage, der historischen Sage und den Erklärungssagen: Während die anderen Ausprägungen der Sage kurz und einfach von einem Erlebnis oder Phänomen berichten, transportieren diese beiden Typen einen ursprünglich in Verse gefassten umfangreichen und komplexen Erzählstoff. Göttersagen beziehen sich auf archaische Schöpfungsmythen, Heldensagen sind Mythen aus der Frühzeit einer Kultur.

Die Göttersage – Mythos um Schöpfung und Natur

Die auf Schöpfungsgeschichten basierenden Göttersagen werden in ihrer Gesamtheit unter den Begriff des Mythos gefasst. In den Mythen verkörpern Götter bestimmte Naturgewalten oder sind zumindest mit solchen ausgestattet (man denke an Zeus und Thors Blitze oder an den Feuerbringer Prometheus), erklären natürliche Vorgänge (wie Demeter die Jahreszeiten) und die Entstehung der Welt (z.B. die nordische Völuspa). In Wesen und Gestalt ähneln sie den Menschen, deren Schicksale sie beeinflussen. Und ob Walhalla, Olymp oder das christliche Himmelsreich – immer spiegelt sich die menschliche Gesellschaftsordnung der Zeit in den Göttersagen wider. Erfahrungswelt und Lebensfragen der Menschen übertrugen sich auf die Sagenebene und nahmen göttliche Gestalt an.


Der Übergang von Götter- und Heldensagen ist zumindest in den griechischen Sagen fließend: So mischen die Götter in der Odyssee und den Abenteuern des halbgöttlichen Herakles kräftig mit. Umgekehrt greifen die nicht selten mit göttlichem Blut versehenen Helden munter in die Geschicke der Götter ein. Dagegen spielen die Götter in den – die Grundlage der deutschen Heldensagen bildenden – von düsterem Fatalismus geprägten Heldenliedern der Germanen keine Rolle: In ihnen stellt sich der Held den zerstörerischen und unbedingten Kräften eines zumeist tragischen Schicksals.

Die Heldensage – Leben und Taten heldenhafter Gestalten

Allgemein sind Heldensagen (oder Heldenmythen) meist in einen groben historischen Kontext wie die Völkerwanderungszeit oder Wikingerära eingebettete Verserzählungen von Leben und Taten eines oder mehrerer Helden aus grauer Vergangenheit. Oft fließen Elemente von Märchen oder Volkssage in das Erzählte ein. Und Gestalten der einen Heldensage können in einer anderen auftauchen – die mündlich weitergegebene Welt der Götter- und Heldensagen vermengt sich mitunter, reproduziert und bestätigt sich selbst. Dies erklärt sich bei vielen Heldensagen mit historischem Kern aus dem Dreischritt (Lied, Epos, Sagenkreis) ihrer Entstehung.

Herakles bändigt den kretischen Stier. Skulptur auf der Schweriner Schlossinsel

Vom Heldenlied über den Epos zum Sagenkreis

Auf die unmittelbare Erinnerung an eine einflussreiche Gestalt erfolgte durch die mündliche Weitergabe seiner Lebens- und Wirkungsgeschichte im Lauf der Zeit eine Idealisierung. Diese schlug sich in den Heldenliedern nieder. In verschriftlichter Form gingen diese in umfangreiche sagenhafte Versepen ein. Der letzte Schritt mündete vom Heldenepos in den Sagenkreis. Sagenkreise sammeln entweder verschiedene Heldenstoffe um eine Sagengestalt oder verknüpfen verschiedene Sagengestalten über Handlungsstränge: Diverse Helden ursprünglich unterschiedlicher Heldensagen treten über verwandtschaftliche Bande (mitunter auch in übergeordnetem Rahmen wie die Herkunft des Romgründers Aeneas aus dem Geschlecht der Trojaner) oder Gefolgschaftsbunde (beispielsweise die Tafelrunde in der Artussage oder Dietrich von Bern und die Nibelungensage) miteinander in Verbindung.

Die Sagengestalten der Heldensagen und Volkssagen

Viele ehemals in Versen verfasste Stoffe wurden später in Prosaromanen wiederbelebt, in Theaterstücken oder Musikkompositionen aufgegriffen und nehmen heute durch moderne Medien wie dem Film erneut Gestalt an. Von der Volkssage unterscheidet sich das Personal der Götter- und Heldensagen schon allein durch ihren Stand: So ähnelt das himmlische Dasein der Götter einem Königshof und die meisten Helden sind zumindest ritterlicher Herkunft. Dem einfachen Volk entspringt kaum eine dieser Sagengestalten, dieses nimmt allenfalls eine Statistenrolle ein. Im Fall der Göttersagen leuchtet dies unmittelbar ein. Bei den Heldensagen liegt der Grund wohl vor allem in der Herkunft der ursprünglichen Heldenlieder: Diese wurden zunächst an den Höfen vorgetragen und gingen von dort in das Volk ein. Und während die herrschende Klasse und Kriegerkaste sich naturgemäß selbst darstellte (bzw. sich aus Sängerkehlen darstellen/preisen ließ) in ihren Gesängen von Kampf, Herrschaft und Ehre, feierte sich das Bildungsbürgertum lange Zeit mit ihrer klassischen Bildung selbst.

Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, könnte man meinen – würde nicht heute gerade das einfache Volk seine Helden überwiegend aus den Riegen der Prominenz wählen. All die vermeintlich sagenhaften Fußballer, göttlichen Entertainer, legendären Stars und märchenhaften Sternchen vollbringen zwar wenig heroische Taten, ihr Nimbus von Ruhm und Reichtum regt jedoch immer noch die Phantasie der mit prosaischen Lebensläufen ausgestatteten Bürger an. Vielleicht wird man sich in einigen Jahrzehnten die Sage von Loddar dem Franken oder der zauberhaften Schönheit Crawford erzählen – mögen die Götter uns gnädig sein.

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