Die schönste Hauptsache der Welt
Erotica universalis - Sex von Pompeji bis Picasso - Ein Bildband von Gilles NeretErotica universalis (Bild: Taschen Verlag)
Die Arterhaltung beziehungsweise das damit verbundene Vergnügen und die entsprechenden Vor- sowie Nachbereitungen sind seit jeher ein schier unerschöpfliches Thema der bildenden Kunst (die verbale Erotik und Pornografie, die zumeist unfreiwillig komisch daherkommen, seien an dieser Stelle unberücksichtigt). Schon die ersten Höhlenmaler nahmen sich des Themas an, und auch sie neigten bereits zu drastischen Übertreibungen, was die Größendarstellungen gewisser Körperteile anbetraf. Den Griechen dienten die Götter als nachahmenswerte Vorbilder, die ebenso ausdauernd wie zügellos in den luftigen Höhen des Olymp kopulierten. Und die Römer statteten ihre Götter beneidenswert üppig aus - vielleicht aber auch nur, um ihnen zu schmeicheln und sie sich wohlgesonnen zu machen.
Im Garten der Lüste
Gilles Neret, Autor und Kulturjournalist, der von 1933 bis 2005 lebte, hat sich der Darstellung der Sexualität durch die Jahrtausende gewidmet und mehrere Bände mit einschlägigen Bildern, Zeichnungen, Kupferstichen und Aquarellen veröffentlicht. Die Bandbreite reicht von feinsinniger Erotik über pralle Begierden bis hin zu expliziter Zurschaustellung aller möglichen Praktiken bis hin zu humoristisch-parodistischen Szenen. Denn dass der Sex nicht immer bierernst genommen werden muss, wussten schon die ollen Griechen. Damit der Phallus ordentlich wächst, kann eine regelmäßige Bewässerung nicht schaden, wie eine griechische Vasenmalerei aus dem Jahre 430 v. Christus dokumentiert, auf der eine sichtlich amüsierte Frau ihren Garten pflegt.
Von der Antike geht die Reise ins gar nicht so prüde Mittelalter, einem Zeitalter, in dem der Kult um die Frau erstmals gepflegt wurde: "Und die schönen Damen jener Zeit, an denen nichts Unschuldiges war, stiegen in die Schwitzbäder und ließen sich nackt, mit gespreizten Beinen bei diesen munteren Wasserspielen porträtieren", schreibt Neret.
Wasserspiele der besonderen Art
A pro pos Wasserspiele: Der Faszination sich erleichternder Frauen konnten auch ein Rembrandt oder ein Picasso nicht widerstehen, um nur zwei der berühmtesten ihrer Zunft zu nennen. Der niederländische Meister hielt die intime Szene unter anderem in einer Zeichnung aus dem Jahre 1631 fest (angeblich porträtierte er seine Ehefrau), und Pablo Picasso entwarf, inspiriert von seinem Kollegen des Hochbarock, 1965 "La Pisseuse" mit Anspielungen auf die griechische Antike. Diesen "unanständigen" Darstellungen wurden selbstverständlich höchste Weihen zuteil: Der alte Meister hängt im Amsterdamer Rijksmuseum, Picassos Ölgemälde im Pariser Centre Pompidou.
Jean Cocteau bevorzugte bei der Darstellung erotischer Vergnügen, angesichts eigener Vorlieben nicht verwunderlich, muskulöse junge Männer – ebenso wie Tom of Finland, der Leder- und Uniformliebhaber, dessen Objekte von der Natur ausgesprochen großzügig bestückt wurden (Tom of Finland hat der Taschen-Verlag übrigens eigene Bände gewidmet).
Nichts Neues unter den Laken
Nicht zuletzt beweist die Kompilation ebenso anschaulich wie drastisch, dass es seit Beginn der Menschheitsgeschichte nichts Neues unter den Laken beziehungsweise auf dem Lotterlager gibt: Jede/r treibt's mit jeder/m in allen erdenklichen Variationen und Positionen, von denen einige nur unter Gefahr von schwersten körperlichen Schäden, wobei Knochenbrüche und Muskelzerrungen noch die geringsten sein dürften, in der Realität durchgeführt werden könnten. Dazu gehören etwa die ebenso akrobatischen wie allerdings auch nicht ganz ernst gemeinten Zirkusszenen des österreichischen Biedermeiermalers Peter Fendi, der seinen Männern und Frauen artistische Unmöglichkeiten abverlangt. Das haben die teils sehr kunst- und auf jeden Fall sehr liebevoll gestalteten Bilder mit der Pornoschwemme aus dem Internet gemein: Es wird getrickst und getäuscht, dass es eine wahre Lust ist.
"Ein Buch für den Genießer schlüpfriger Einzelheiten", lobte eine Rezension den üppigen Band. Und für solche, mag man hinzufügen, die es werden wollen. Günstiger als hier dürfte die Lust jedenfalls kaum zu haben sein. © Rainer Nolden
Gilles Neret, Erotica Universalis: From Pompeji to Picasso, Taschen Verlag Köln, Deutsch, Englisch und Französisch, 575 Seiten, 14,99 Euro.
Bachus und Ariane (Bild: Agostino Carracci)
"Im Zirkus" (Bild: Peter Fendi)
Illustration zu Jeans Genets "Querelle de Brest" (Bild: Jean Cocteau)