Als ihr erstes Theaterstück am Broadway uraufgeführt werden sollte, weigerten sich sämtliche New Yorker Zeitungen, Werbeanzeigen zu veröffentlichen. Kein Wunder: Man schrieb das Jahr 1926, und der Titel der Komödie hieß schlicht "Sex". Mehr als ein Jahr lang war Mae West allabendlich im "Daly'S Theater" als Margie La Mont zu sehen. Doch nachdem sich 700 Polizisten und sieben Distrikt-Anwälte von der Unanständigkeit der Geschichte einer Hafenprostituierten überzeugt hatten, wurde das Stück verboten. Die Autorin und Hauptdarstellerin wanderte für acht Tage ins Gefängnis.

Mae Wests erstes Theaterstück entstand aus der Erkenntnis, dass kein Mann in der Lage war, ihr die Dialoge zu schreiben. Deshalb entwickelte sie eigenständig ihren Zynismus, den anzüglichen Witz und die respektlosen Antworten. Denn das letzte Wort ließ sich Miss West auf der Bühne, auf der Leinwand – und natürlich auch im Privatleben – nicht nehmen.

Sittenwächter auf den Barrikaden

"Ihr Sex-Appeal setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Figur, Tempo ihrer Aktion und Sprache", versuchte ein Kritiker die Wirkung des Sex-Stars zu analysieren. Dabei entsprach ihre Figur nicht einmal dem Schlankheitsideal jener Epoche. Sie war eher üppig, besaß ein rundes, volles Gesicht und einen nichtgerade damenhaften Gang. Sie bevorzugte wallende Gewänder, in denen sie sich respektheischend zu bewegen verstand. Wenn sie dann einen Mann von oben bis unten taxierte und ihn aufforderte: "Sie können mich jederzeit besuchen", dann knisterte es im Kino bis in die letzte Reihe.

Beim Drehbuchschreiben pfiff sie auf die Moralpostel, die jede ihrer Szenen mit Argusaugen beobachteten. "Ich fühle mich heute nicht besonders. Einer der neun Gentleman, die draußen warten, muss nach Hause gehen." Mit solchen Sätzen trieb sie die Sittenwächter auf die Barrikaden. Ihretwegen forderten die amerikanischen Frauenverbände – erfolgreich – eine Verschärfung der Zensur.

In Brooklyn wurde sie am 17. August 1893 geboren. Mary Jane West war die Tochter eines Boxers irischer Abstammung und einer Schauspielerin mit bayerischen Wurzeln. Als Siebenjährige nahm Mae Gesangs- und Tanzstunden; ein Jahr später stand sie bereits auf der Bühne. Bereits mit elf Jahre, so behauptet die Legende, an der sie eifrig mitstrickte, musste sie sich der aufdringlichen Nachbarjungen erwehren. Mit 18 heiratete sie den Jazzmusiker Frank Wallace, mit dem sie nach eigenen Angaben jedoch nur ein paar Wochen zusammenlebte, ehe jeder wieder seiner eigenen Wege ging. Geschieden wurden die beiden jedoch erst 1942.

"Ich bin kein Engel"

Die dreißiger Jahre waren Wests erfolgreichste Dekade: "She done him wrong", "Belle of the Nineties" und vor allem "I'm no angel" festigten ihren Ruf als femme fatale. Als Mitspieler hatte sie sich den gutaussehenden Cary Grant geangelt. Die Filme waren so erfolgreich, dass sie die Paramount vor dem drohenden Konkurs bewahrten. Die Dreißiger waren allerdings auch die Jahre, in denen sie begann, sich als Denkmal zu inszenieren. Sie konservierte praktisch ihre welkende Jugend und bemühte sich mit allen Mitteln, eine alterslose Ikone zu bleiben – bis ihre Bewunderer genug von ihr hatten.

Hinzu kam, dass sie der Ansicht war, in ihren letzten fünfzig Jahren nicht gealtert zu sein. Ihr Publikum war nicht dieser Ansicht. Die 1970 und 1977 entstandenen Filme, "Myra Beckinbridge" und "Sextette", in denen sie ihr eigenes Rollenklischee parodierte und sich von jungen Männern, darunter von Tony Curtis, Ringo Starr und Keith Moon, den Hof machen ließ, kamen im New Hollywood der Hippies und Easy Riders nicht an. Die Jahre waren an Mae West eben doch nicht spurlos vorbeigegangen. Bis zum Schluss wollte sie es, inzwischen mit lang wallendem Blondhaar, nicht wahrhaben.

Am 22. November 1980 ist sie in Hollywood gestorben – 87 Jahre alt.  

© Rainer Nolden

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