Südseite der Kirche St. Martin

Südseite der Kirche St. Martin (Bild: Bildpixel/pixelio.de)

Bau und ursprüngliche Funktion der Kirche St. Martin

Die Kirche St. Martin hat ebenso wie ihr Namenspatron eine "militärische Vergangenheit". Das heißt: Sie wurde in den Jahren 1895 bis 1900 erbaut als Kirche für die in der "Albertstadt" stationierten Angehörigen der sächsischen Armee. Diese war die größte Kasernenanlage des damaligen Kaiserreichs und war benannt nach dem sächsischen König Albert. Die Kirche St. Martin diente also ursprünglich nur der Militärseelsorge und war keine Pfarrkirche. Dementsprechend trug sie den Beinamen "Garnisonkirche".

Um nun den Besonderheiten beider Konfessionen gerecht zu werden, wurden die Architekten damit beauftragt, eine Doppelkirche zu bauen. Das heißt: Die Kirche sollte unterteilt werden in eigenständige Kirchenräume für die evangelische und die katholische Konfession, wobei der evangelische Kirchenraum entsprechend den damaligen konfessionellen Verhältnissen wesentlich größer sein sollte als der katholische. Diese konfessionelle Zweiteilung unter einem Dach wurde hier erstmalig in Mitteleuropa umgesetzt. Der Kirchturm sollte – dies war eine weitere Besonderheit - separat für sich stehen, und zwar zwischen den beiden Kirchenteilen. Entsprechend wurden am 28. Oktober 1895 drei Grundsteine gelegt, zwei für die beiden Kirchenräume und einer für den Turm. Genau fünf Jahre später, also am 28. Oktober 1900, wurde die Kirche geweiht.

Von außen ist die Unterteilung der Kirche in zwei Kirchenräume nicht sofort zu erkennen. Man vermutet bei äußerer Betrachtung ein ganzes Kirchenschiff in Form eines lateinischen Kreuzes. Quer durch dieses angedeutete Kirchenschiff verläuft jedoch eine dicke Brandmauer, die das verkürzte Langhaus, wo sich der katholische Teil befindet, und das breite Querhaus, das der evangelische Teil einnimmt, voneinander trennt. Folglich besaß auch jeder Kirchenraum eine eigene Orgel. Und zwar sollten die beiden Orgeln ursprünglich Rücken an Rücken an der Trennwand aufgebaut werden. Während des Einbaus stellte sich jedoch heraus, dass die Orgel im katholischen Teil nicht passte, so dass sie stattdessen an der Südfassade installiert wurde, wo sie ein großes Rosettenfenster verdeckt. Die Orgeln waren aber durch eine gemeinsame Windanlage miteinander verbunden.

Der Baustil von St. Martin

Die Kirche St. Martin ist ein Gebäude des Historismus. Damit ist eine Phase in der Stilgeschichte gemeint, in der auf Elemente früherer Stilrichtungen zurückgegriffen wurde und diese teilweise miteinander kombiniert wurden. Bei St. Martin kam es vor allem zu einer Kombination von Stilelementen der Romanik und der Gotik, so dass man hier auch von einer neoromanischen bzw. neogotischen Kirche sprechen kann. Eine wichtige Inspirationsquelle für die Architekten waren die mittelalterlichen deutschen Kaiserdome in Mainz, Speyer und Worms. Die Separierung des Turms erinnert demgegenüber an einen italienischen Campanile, also einen nicht in ein Kirchengebäude integrierten Glockenturm, wie ihn beispielsweise der "Schiefe Turm von Pisa" darstellt.

Bei St. Martin überwiegen die Stilelemente der Romanik bei der äußeren Gestaltung des Kirchengebäudes und im evangelischen Teil, während im katholischen Teil die Anlehnung an die Gotik dominiert. Hier findet man äußerst kunstvolle Varianten des für die gotischen Dome charakteristischen Rippengewölbes. Und zwar sind die Rippen im Mittelraum als Sternengewölbe und im Chorumgang als Kreuzrippengewölbe gestaltet. Die Decke im Mittelraum ist – um ein weiteres bemerkenswertes Detail der Raumgestaltung zu nennen - mit einem Sternenhimmel in blau und gold sowie vier Engeln ausgemalt. Staunen macht auch, dass sich in und an der Kirche etwa 900 Säulen mit ebenso vielen Kapitellen ("Säulenköpfchen") befinden, von denen keines dem anderen gleicht.

Ostseite der Kirche St. Martin

Ostseite der Kirche St. Martin (Bild: Bildpixel/pixelio.de)

Die unmittelbaren Folgen des Zweiten Weltkriegs für St. Martin

Beim verheerenden Bombenangriff auf Dresden am 13. Februar 1945 wurde die Kirche St. Martin zwar stark beschädigt, blieb aber als Gebäude erhalten, während ja die Frauenkirche infolge des Bombardements eingestürzt war. Bei anderen Kirchen waren "lediglich" Gebäudeteile zerstört worden, so dass sie problemlos hätten wiederaufgebaut werden können. Sie wurden jedoch in der Nachkriegszeit aus ideologischen Gründen dem Verfall preisgegeben und schließlich abgerissen. Im Fall von St. Martin sollte sich zeigen, dass ein solcher "Tod auf Raten" auch einer weitgehend erhaltenen Kirche drohen konnte.

Zunächst hatte die Kirche nach dem Krieg ihre Funktion als Garnisonkirche eingebüßt, wurde aber weiterhin für sakrale Zwecke genutzt. Und zwar fand die katholische St.-Franziskus-Xaverius-Gemeinde, deren teilweise eingestürzte Kirche aus den genannten Gründen abgerissen worden war, im katholischen Teil der Kirche eine neue Heimat. Der evangelische Teil wurde zunächst durch die Gemeinde der St. Pauli-Kirche genutzt, die ebenfalls nur noch eine Ruine war. Da aber der Gemeinde der Kirchenraum viel zu groß war, gab sie diese Nutzung Mitte der 1960er Jahre auf, und damit drohte der gesamten Kirche der Verfall, weil die katholische Gemeinde die Reparatur der Kriegsschäden und den laufenden Unterhalt des Gebäudes alleine nicht finanzieren konnte. So sah es jedenfalls zunächst aus.

Rettung in höchster Not

In welchem Zustand die Kirche St. Martin in den sechziger Jahren war, zeigt ein Brief des damaligen Pfarrers Johannes Klante  an den Oberbürgermeister von Dresden. Demnach waren die Fenster der Kirche zum großen Teil eingeschlagen, das Dach war undicht, und das Gelände um die Kirche war verwildert. Insgesamt war die Kirche - so Klante - nach außen hin ein unvorstellbarer Schandfleck. 1971 schließlich konnte in der Kirche wegen Baufälligkeit kein Gottesdienst mehr gefeiert werden. Aber diese Erfahrung wirkte wie ein Weckruf. Denn jetzt mobilisierten engagierte Menschen in der katholischen Gemeinde alle Kräfte und brachten letztlich doch die finanziellen Mittel auf, um die Kirche vor dem völligen Verfall zu retten.

1971 begann also die dringend erforderliche Renovierung der Kirche. Und es erfolgte zudem eine Neugestaltung des katholischen Kirchenraums, die sich an liturgischen Aussagen des II. Vatikanischen Konzils orientierte. In jahrzehntelanger Arbeit wurden die vollständige Ausmalung des Innenraums und die Buntbleiglasfenster wiederhergestellt. Insgesamt kam es hier zu einer Verbindung von originalgetreuer Rekonstruktion mit – behutsamer – Modernisierung, die aus heutiger Sicht eine Meisterleistung darstellt.

Details der Dachgestaltung

Details der Dachgestaltung (Bild: Bildpixel/pixelio.de)

Die Entwicklung nach der deutschen Wiedervereinigung

Großen Anteil an der "Wiederauferstehung" der Kirche St. Martin haben Manfred Kaiser, ein privater Investor, der 1998 die Kirche zusammen mit dem umliegenden Grundstück gekauft und in der Nähe das Neubaugebiet "Obere Neustadt" errichtet hat, und ein Förderverein, der 1995 gegründet wurde, als auch die katholische Gemeinde St. Martin verlassen wollte. Und zwar hat die Bundesrepublik Deutschland als damalige Eigentümerin der Kirche Manfred Kaiser das Gebäude für null DM verkauft, aber mit der Auflage, den gesamten Baukörper einschließlich des Turms zu sanieren und auch in Zukunft für seine Erhaltung zu sorgen.

Der Förderverein hatte sich zum Ziel gesetzt, die katholische Gemeinde bei der vollständigen Wiederherstellung ihres Kirchenraums zu unterstützen, um sie damit zum Bleiben zu bewegen. Dabei war sehr hilfreich, dass mit dem Eigentümerwechsel 1998 erstmalig die Möglichkeit bestand, Fördermittel für Restaurierungsarbeiten beim Freistaat Sachsen zu beantragen. Hinzukommt, dass durch Sanierung und Wohnungsneubau in der Äußeren Neustadt die katholische Gemeinde St. Franziskus Xaverius in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen ist, so dass sie heute eine der größten Gemeinden im Bistum Dresden-Meißen ist.

Ferner dient seit dem Umzug der Offiziersschule des Heeres von Hannover nach Dresden im Jahre 1998 der katholische Teil von St. Martin auch wieder der Militärseelsorge, wobei der katholische Teil für Gottesdienste sowohl der katholischen als auch der evangelischen Militärseelsorge genutzt wird. All diese Entwicklungen nach der Wiedervereinigung haben dazu geführt, dass die Kirche St. Martin in der Öffentlichkeit immer mehr Beachtung findet und auch immer mehr Menschen dazu bereit sind, die Erhaltung dieses ungewöhnlichen Bauwerks durch Spenden zu unterstützen.

Schlussbemerkung

Kann man also von einem "Happy-End" für die Kirche St. Martin sprechen? Leider nicht ganz. Denn seit dem Auszug der St. Pauli-Gemeinde wird der evangelische Kirchenraum nicht mehr sakral genutzt. Heute beherbergt er die Puppen­theatersammlung der Dresdner Kunstsammlungen und den Theaterfundus. Und für diese Nutzung wurde der Raum grundlegend umgestaltet. Es wurden nämlich Zwischendecken eingezogen, so dass der Raum in mehrere Etagen unterteilt ist. In der oberen Etage sieht man, wenn zur Decke blickt, nur noch die Reste ehemaliger Pracht. Mich persönlich hat dieser Anblick sehr deprimiert, und ich hoffe, dass für den evangelischen Teil von St. Martin noch eine andere Lösung gefunden wird, bei der auch dieser Teil restauriert wird.

Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Garnisonkirche_St._Martin

http://www.stadtwikidd.de/wiki/Garnisonkirche

Festvortrag 100 Jahre Garnisionkirche St. Martin am 28.10.2000

Bildnachweis:

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