Digitalisierung zwischen Fortschritt und Täuschungsmanövern
Über Chancen, Risiken, Sinn und Unsinn eines ideologischen SchlagwortesWie ein diebischer Vogel mir Zeit und Nerven stahl
Die Finanzbeamtin wurde auf einmal sehr schmallippig: "Sie haben im letzten Jahr zehn Euro Nebeneinkünfte aus gewerblicher Tätigkeit erzielt? Dann müssen Sie die Steuererklärung digital einreichen!" Vergeblich wies ich darauf hin, dass dies erstens eine Kann-Bestimmung ist und zweitens dazu erst einmal ein stabiler und schneller Internetanschluss verfügbar sein muss. Die Beamtin blieb hart. Hinfort besorgte ich mir also ein ELSTER-Zertifikat (Warum ist die Software des Finanzamtes eigentlich nach einem diebischen Raubvogel benannt???) und reichte alles digital ein – das Breitbandzeitalter hatte glücklicherweise kurz nach dem Vorfall auch meinen Wohnort erreicht. Anschließend erhielt ich Post vom Finanzamt, ich müsse noch Belege postalisch nachreichen. Ebenfalls postalisch erhielt ich diese Belege nach Prüfung zurück. Ein weiterer Brief teilte mir nach einigen Wochen dann das Ergebnis meiner Steuererklärung mit. Worin genau jetzt der Vorteil gegenüber der bisherigen Praxis lag, hat sich mir nie erschlossen. Denn zuvor hatte ich die Steuererklärung zwar digital erstellt, dann aber ausgedruckt und beim Finanzamt abgegeben. Dort prüfte man gleich alle Belege, welche ich anschließend wieder mitnehmen konnte.
Da ich aber generell ein Freund sinnvollen technischen Fortschritts bin, glaubte ich nun tatsächlich, den quasi aufgenötigten Account beim ELSTER-Portal auch nutzen zu können, beispielsweise zum Datenabruf, wenn Belege wieder einmal auf sich warten ließen. Ich glaubte in meiner Naivität ernsthaft, mittels des sicheren Zertifikats solche simplen Vorgänge mit einem Klick erledigen zu können. Das Diebische-Vogel-Portal sah das etwas anders und teilte mir mit, spätestens in einigen Monaten würde ich postalisch (!) die nötigen Zugangsinformationen erhalten…
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Wie eine Bank sich unbedingt selbst abschaffen wollte
Die beiden großen Lebenslügen der Finanzbranche lauten:
- Festverzinsung lohnt sich nicht. Investieren Sie lieber in Risiko-Wertpapiere. Langfristig machen Sie damit mehr Gewinn.
- Weil die Lage an den Zinsmärkten sooo schlecht ist, müssen wir leider, leider die Gebühren anheben und Filialen schließen.
Da stellt sich natürlich die Frage, warum Banken nicht genau das tun, was sie ihren Kunden empfehlen: An den Börsen investieren und damit die fette Kohle machen. Dann bräuchte es eigentlich überhaupt keine Gebühren mehr. Außer natürlich, die Bank hat gelogen, und Börsenpapiere sind gar nicht so ertragsreich und langfristig sicher…
Um meinen Ärger über die dadurch steigenden Gebühren und den fallenden Service zu dämpfen, wurde ich von meiner Kundenberaterin immer mal wieder auf die Möglichkeit des kostengünstigeren Online-Bankings hingewiesen. Ich erwiderte dann häufig, dass mir ein Ansprechpartner vor Ort wichtig sei und verriet nicht, dass ich Online-Banking im kleinen Umfang bereits bei einer anderen Bank praktizierte. Dass dortige Gewirr aus zwei Apps, einem Online-Zugang, einem Haufen Passwörter und umständlichen Freischaltungsvorgängen hatte mich dabei nicht wirklich überzeugt. Zumal ich immer wieder auf Menschen stieß, bei denen Online-Bankkonten trotz vermutlich korrekter Handhabung durch Hacker leergeräumt wurden. Digitale Daten sind eben naturgemäß niemals vollständig sicher. Man kann nur die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Angriffs stark reduzieren…
Wirklich störend fand ich am Online-Banking allerdings etwas anderes: Ich leihe der Bank mein Geld, erledige die ganze Arbeit, nutze mein Datenvolumen, trage das Sicherheitsrisiko sowie Strom- und Druckkosten – und zahle dafür dann noch Gebühren an die Bank. Super Geschäftsmodell, natürlich nur für die Banken.
Doch all diese Überlegungen teilte ich der Kundenberaterin nie mit. Stattdessen erwähnte ich eines Tages einen einfachen Zusammenhang: "Wozu brauche ich Sie eigentlich noch, wenn ich alles online machen soll? Ich brauche dann nicht mal mehr Ihr Kreditinstitut, sondern suche mir einfach irgendeine billige Internetbank."
Woran digitaler Unterricht scheitern kann
Neben den vielen Verwerfungen, welche die Corona-Pandemie hinterlassen hat, gab es auch einen eher positiven Nebeneffekt: Die Digitalisierung in Deutschland erhielt einen kräftigen Schubs in die richtige Richtung. Videokonferenzen beispielsweise wurden so selbstverständlich wie die Bedienung einer Kaffeemaschine. Auch im Schulalltag bot die Digitalisierung allerhand Chancen, selbst während der Lockdowns oder für Schüler in Quarantäne den Unterricht zu gewährleisten. Schon lange existierte dazu ein staatliches Lernportal, über welches Videounterricht ebenso möglich war wie Klassen- und Einzelchats, Kontakte zwischen Eltern und Schule oder das herunter- und hochladen von Hausaufgaben. Die Pandemie bot nun Gelegenheit, dieses Potenzial zu nutzen.
Allein, nicht jede Lehrkraft konnte sich damit anfreunden. Mit Steuergeldern wurden zwar recht zügig moderne Geräte zur Verfügung gestellt. "Nicht doch", mag sich allerdings so mancher gedacht haben. "Ich nehme lieber weiter meinen alten Rechner mit Windows XP. Da kenne ich mich wenigstens aus." Andere Pädagogen fürchteten vielleicht (nicht ganz zu Unrecht), während des Videounterrichts von kritischen Eltern unbemerkt beobachtet zu werden. So kam es eben zu Unterrichtsausfällen oder zu Hausaufgaben via Briefkasten-Verteilaktion.
Digitaler Unterricht kann allerdings auch durch zu viel Aktionismus scheitern. Belehrend erklärten so manche Schülervertreter und Politiker, die sich für modern hielten, dass beispielsweise in skandinavischen Ländern häufig auf Bücher sowie auf das Erlernen der Schreibschrift verzichtet wird und jeder Schüler ein Tablet bekommt. Wer darauf hinwies, dass diese zwanghafte Digitalisierung auch motorische Defizite oder kognitive Einschränkungen mit sich bringen kann, wurde lange belächelt. Mittlerweile mussten Schweden, Dänemark und Finnland allerdings erkennen, dass die extensive Digitalisierung ein Irrweg war.
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Weshalb Versicherungen auf Digitalisierung setzen
Ja, es ist natürlich bequem, Versicherungen online abzuschließen, Beitragsfreistellungen, Datenänderungen oder Leistungsanpassungen mit wenigen Klicks oder per App zu realisieren. Ob man sich in Versicherungsdingen wirklich besser auskennt als ein Vertreter, darf jeder gern für sich entscheiden und im Ernstfall auch dafür geradestehen. Es ist auch legitim, dass Unternehmen durch ihr Online-Angebot Vertriebskosten sparen wollen (wovon der Kunde auf der Beitragsrechnung nicht unbedingt etwas bemerkt). Eine weitere Kostenersparnis ist übrigens, wenn "aus Umweltschutzgründen" die Police und 82 Seiten Kleingedrucktes nicht zugesandt werden, sondern lediglich als PDF herunterladbar sind. Der Kunde hat dann die Wahl, auf eigene Kosten auszudrucken oder eben darauf zu vertrauen, dass die Datei nie Schaden nimmt und auch von künftigen Softwarelösungen lesbar ist.
Wirklich ärgerlich wird die Sache allerdings dann, wenn der starre Algorithmus das spezielle Anliegen des Kunden nicht zuordnen kann. So versuchte ich beispielsweise einmal, für einen Oldtimer eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Diverse Vergleichsportale waren damit ebenso überfordert wie die Online-Auftritte der Versicherer selbst. Die Versicherungsfachfrau vor Ort hingegen brauchte dafür nur ein paar Minuten…
Immerhin: Privatunternehmen sind meist flexibler als die Staatswirtschaft, weshalb die Branche bereits reagiert hat. Für speziellen Beratungsbedarf setzt sich immer mehr die Möglichkeit des Video-Chats durch.
Digitalisierung ist eine feine Sache – sie muss nur funktionieren
Solange das ehemalige Land der Dichter, Denker, Erfinder, Ingenieure und Fleißigen durch frustrierte Staatsdiener, Verschwörungstheoretiker und Klimahysterie geprägt wird, dürfte sich an den chaotischen Umständen rund um die deutsche Digitalisierung wenig ändern. Was nützt es beispielsweise, Schulen teuer und flächendeckend mit Endgeräten für jeden Schüler zu versorgen, wenn die nötigen Breitbandanschlüsse auf sich warten lassen und Server oder Netze störanfällig bleiben? Was nützen digitale Beratungsangebote von Versicherungen und Behörden, wenn man sich dann doch nur mit einem Chat-Bot unterhält?
Während Wissenschaft und Wirtschaft bereits selbstfahrende Züge (nervige Lokführerstreiks dürften damit künftig der Vergangenheit angehören), fernmedizinische Eingriffe und hybride Klassenzimmer ermöglicht haben, scheitert die flächendeckende Digitalisierung vor allem an jedem Einzelnen von uns, an unserem Unwillen, uns damit vernünftig auseinanderzusetzen und somit technischen Fortschritt in echte Vorteile zu verwandeln. Wir sollten Digitalisierung nicht als Bedrohung ansehen und auch nicht als Waffe gegen Andersdenkende verwenden. Wir dürfen sie aber als Werkzeug im Sinne eines positiven Fortschritts nutzen.