Dr. Shetty's neue Wege und seine Beweggründe

Indien, auf gutem Weg eine der drei führenden Industrienationen der Welt zu werden, geht auch in der medizinischen Krankenhaus-Versorgung seit Jahren ganz neue Wege.

Der Herzchirurg, Dr. Devi Prasad Shetty, hat es geschafft, Indiens kostenaufwändiges Krankenhaus-Konzept zu revolutionieren. Dass das nicht ohne drastische Einsparungen und Zugeständnisse durch die Patienten möglich ist, ist naheliegend. Diese Sparmaßnahmen haben ihm zwar auch den wenig schmeichelhaften Spitznamen "Der Henry Ford der Herzoperationen" eingebracht, doch nur durch diesen strengen Sparkurs ist es ihm und seinem Team gelungen, innerhalb von nur wenigen Jahren mehr als 30.000 Patienten zu operieren. 10 Prozent der insgesamt 18.000 Herzoperationen Indiens werden in den Narayana Health-Kliniken durchgeführt.
Sein Konzept polarisiert, aber es gilt schon jetzt als zukunftsweisend.

In Indien werden jedes Jahr 28 Millionen Babys geboren, 3 Millionen davon sterben vor ihrem 5. Geburtstag an einem behandelbaren Herzleiden. Überhaupt habe Indien, so Dr. Shetty, weltweit die meisten Kranken. Zudem scheinen Inder für Herzinfarkte 3 x anfälliger zu sein als Europäer und Amerikaner. Schon als junger Arzt hat er oft sehen müssen, dass sich viele Menschen Operationen finanziell nicht leisten konnten. Irgendwann beschloss er, fortan keinen Patienten mehr gehen zu lassen.

In seinen Narayana Health Kliniken ist alles ökonomisch. Sämtliche Geräte und OP-Säle sind an 6 Tagen in der Woche so oft wie möglich belegt. Alleine in der Herzklinik in Bangalore haben die Chirurgen im Jahr 2012 11.400 Herzoperationen durchgeführt - mehr als 30 am Tag.
Zum Vergleich: das renommierte Herzzentrum Berlin bei der Charité hat im selben Jahr 3.000 vergleichbare Eingriffe vorgenommen.

Umgerechnet 1.500 Euro berechnet die Shetty-Klinik im Durchschnitt für eine Bypass-OP. In Deutschland kostet dieser Eingriff circa 12.000 – 17.000 Euro und in den USA, mit dem teuersten Gesundheitssystem der Welt, rund 15.000 – 30.000 Euro.

In Shettys Kliniken werden die Preise an die Patienten angepasst. Etwa 60 Prozent zahlen den vollen Preis, weniger Wohlhabende erhalten 40 Prozent Rabatt und Ärmere zahlen nur das, was sie aufbringen können oder auch gar nichts. Sein ambitioniertes Ziel ist es, zukünftig Herz-Operationen für 600 Euro anzubieten. So etwas funktioniert jedoch nur mit absolutem Spardiktat. Einige der Sparmaßnahmen sind:

  • Bau nur 1-stöckiger Kliniken (spart Aufzüge und Fundamente)
  • Vorgefertigte Bauteile
  • Patienten-Säle mit bis zu 50 Betten, die nur mit Vorhängen voneinander getrennt sind.
  • Klimaanlagen nur in den Operationssälen
  • Angehörige werden angehalten, einen mehrstündigen Pflegekurs zu belegen, um den Krankenschwestern zur Hand zu gehen, denn die Arbeitszeiten in den Kliniken sind lang. Durch diese Ausbildung können die Patienten früher entlassen werden und anschließend zu Hause durch die Angehörigen weiter versorgt werden.

Nach diesem Vorbild will Shetty in Indien in den nächsten 5 Jahren 100 Kliniken in Provinzstädten bauen, um die medizinisch schlecht ausgestattete Landbevölkerung zu versorgen.

Aus deutscher Sicht könne man, so der Spiegel-Journalist Guido Mingels in seinem Filmbericht von ALDI-Kliniken sprechen: alles sei billig, schmucklos, aber zuverlässig gut, wobei die Qualität internationalen Standards entspricht. Das sind von der JCI (Joint Commission Internatonal) vorgegebene Kriterien, die auch in Deutschland zugrunde gelegt werden.

Micro Health Insurance

Eine Pflicht-Krankenversicherung gibt es in Indien nicht und dennoch ist es Dr. Shetty die letzten Jahre gelungen, eine "Micro Health Insurance" ins Leben zu rufen, die auch ärmeren Menschen die Möglichkeit bietet, sich in seinen Kliniken behandeln zu lassen. Für lediglich umgerechnet 2,5 Cents Versicherungsbeitrag//Monat haben inzwischen rund 4 Millionen Bauern in Indien die Gewissheit, sich im Krankheitsfall klinisch behandeln lassen zu können.

Bei allem geht es Dr. Shetty und seinem Team darum, Lösungen zu finden, die finanzierbar sind. Sein häufig zitierter Leitspruch ist: "If a solution is not affordable, then it is no solution" (übersetzt: "Wenn man sich eine Lösung nicht leisten kann, dann ist es auch keine Lösung").

Laut Dr. Shettty war das 20. Jahrhundert das der Maschinen und der Technik. Das 21. Jahrhundert sei nun das Jahrhundert der Gesundheitsfürsorge. Für ihn ist Gesundheit eine Verantwortung der gesamten Bevölkerung. Sein Ziel ist es, dass sich in Indien in 10 Jahren jeder Mensch Gesundheitsversorgung leisten kann.

Eine der Möglichkeiten, das zu realisieren, sieht er darin, von den Handy-Gebühren der rund 900 Millionen Nutzer in Indien monatlich etwa 20 Rupien (entspricht circa 0,25 Euro) als Versicherungsbeitrag einzubehalten. Eine Summe, die sicher dem nicht weh tut, der sich ein Handy leisten kann, aber im Gegenzug 900 Millionen Menschen eine wichtige Krankenversorgung ermöglichen könnte. 

Bewegende Rede von Dr. Shetty at TEDxGateway 2013

Meilensteine Narayana Health und Innovationen

 Narayana Health

  • Inzwischen 40 Herz-Operationen am Tag,
    Shetty alleine nimmt - bei einem Arbeitstag von 16-18 Stunden - 2-3 Operationen am Tag vor.

  • Expertise in Lebertransplantationen bei Babys mit weniger als 10 Kilogramm Gewicht mit 95 prozentiger Erfolgsrate

  • Erste Herzklinik in Asien zur Implantation eines Kunstherzes

  • Thrombose Forschungsinstitut in Bangalore

  • Die Narayana Foundation führt 61 Trainingsprogramme durch und wird bei der University Grant Commission (UGC) in Indien mit dem Status "Deemed University" geführt, das heisst sie ist – im Gegensatz zu den traditionellen Universitäten mit mehreren Außenstellen/Instituten -eine Einzelinstitution und darf nur ihre eigenen Bildungsgrade an Studenten und Studentinnen vergeben. Sie haben aber den gesetzlichen Status, der einer Universität entspricht und dürfen auch den Begriff "Universität" in ihrem Namen führen.

  • Neben 36 Kliniken in Indien und 1 in Malaysia seit 2014 zudem eine moderne Klinik auf den Cayman Islands "Health City Cayman Islands"

    Informationssystem über Gewinn und Verlust

Alle Ärzte erhalten jeden Mittag per SMS mit einer aktuellen Information über Gewinn und Verlust des Vortages. So hat jeder Einblick, ob man wirtschaftlich arbeitet beziehungsweise was gegebenenfalls verbessert oder verändert werden kann.

PEARLS-System (Patient & Employee Resolution and Learning System)

Angestellte und Patienten haben in den Narayana Health Kliniken jederzeit die Möglichkeit, sich zu beschweren, auf Misstände hinzuweisen oder Verbesserungvorschläge einzubringen. Dazu braucht nur eine einzige Ziffer am Telefon gedrückt zu werden. Ein Mitarbeiter nimmt das Anliegen auf und leitet es an die entsprechende Stelle oder Station weiter. Es wird erwartet, dass das Problem umgehend gelöst und nach Erledigung ein Vermerk in das System eingebracht wird.

Videokonferenzen und Telemedizin

Nicht alle Patienten, von denen er 80-100 am Tag sieht, kommen zu Dr. Shetty und seinen Kollegen nach Bangalore. Videokonferenzen beziehungsweise Telemedizin machen es möglich, jederzeit auch zu Patienten und Ärzten in anderen Teilen Indiens Kontakt zu haben.

 

Dr. Devi Prasad Shetty - Leben, Karriere, Auszeichnungen

Dr. Devi Prasad Shetty wurde am 8. Mai 1953 als 8. von 9 Kindern in Kinnigoli/Indien, geboren. Er ist verheiratet und hat 4 Kinder.

In der Schule hörte er von dem südafrikanischen Chirurgen Dr. Christian Barnard, der 1967 die erste Herztransplantation erfolgreich durchführte. Davon war er so beeindruckt, dass für ihn von da an feststand, dass er ebenfalls Herzchirurg werden wollte.

Nach seinem Medizinstudium am Kasturba Medical College in Mangalore ging er von 1983 - 1989 nach London und praktizierte als Herzchirurg am Guy's Hospital. Zurück in Indien praktizierte er die folgenden Jahre als Herzchirurg an Kliniken in Kalkutta und Bagalore.

Kalkutta war für ihn eine einschneidende Erfahrung. Er begegnete dort Mutter Teresa, die einen Herzinfarkt erlitten hatte und betreute sie als Arzt die letzten 6 Jahre ihres Lebens. In dieser Zeit begleitete er sie auch zu den Armen und Kranken in der Region und für ihn stand fest, dass man es schaffen müßte, mehr Menschen medizisch zu helfen, denn keiner dieser Menschen konnte sich eine Operation leisten. Noch heute, 100 Jahre nach der ersten Herz-Operation, könnten sich überhaupt nur 10 Prozent der Weltbevölkerung eine Herz-Operation leisten, so Shetty in einem Interview.

2001 gründete Dr. Shetty mit dem Geld seines Schwiegervaters die Klinik Narayana Hrudayalaya (NH) mit verschiedenen Fachrichtungen, in Bommasandra, einem Außenbezirk von Bangalore. Grund dafür war, dass er seinerzeit keinen Arbeitgeber finden konnte, der seine Vision verstand. Er glaube daran, dass man die Gesundheitskosten in den nächsten 5-10 Jahren durch Skaleneffekt (economies of scale) um die Hälfte reduzieren kann. Aus dieser einen Klinik sind inzwischen 26 Kliniken in 16 Städten mit insgesamt 13.000 Betten und cirka 12.500 Mitarbeitern geworden.

Dr. Devi Prasad Shetty zählt weltweit zu den erfolgreichsten Herzchirurgen und hat zahlreiche Preise und Ehrungen erhalten, unter anderem

Padma Bhushan award for Medicine in 2012
Schwab Foundation's award in 2005
Dr. B C Roy award in 2003
Sir M. Visvesvaraya Memorial Award in 2003
Ernst & Young - Entrepreneur Of The Year in 2003
Rajyotsava award in 2002
Karnataka Ratna award in 2001

 

Film: "The Life and Times of Dr. Devi Prasad Shetty"

''Health City'', Cayman Islands

Einem Artikel der Economic Times zufolge haben Dr. Shetty beziehungsweise Narayana Health
70 Millionen US-Dollar in dieses ambitionierte Projekt gesteckt, das im Frühjahr 2014 eröffnet wurde. Der Vorteil, laut Dr. Shetty, sei die Nähe zum amerikanischen Festland und dennoch unterliege man nicht der strengen US-Gesetzgebung. Es gäbe eine gute Infrastruktur und etwa 40 Millionen Menschen in der Karibik, die vom US Gesundheitssystem abhängig sind.

Neben Patienten aus der Karibik rechnet man hier zukünftig auch mit zahlreichen US-Patienten, denen man Top-Qualität zu niedrigeren Preisen anbieten kann. Einen weiteren Vorteil sieht Shetty in der Zusammenarbeit mit US-Ärzten und Experten. Man könne demonstrieren, was im Gesundheitswesen möglich ist und zu welchen Kosten - sogar in der ''entwickelten'' Welt".

Health City visiert für die nächsten 10 Jahre 2.000 Betten an, eine medizinische Universität und ein Zentrum zum Wohnen inklusive Pflege, Beratung und sonstiger Hilfe.
Zunächst wird das Hospital von 70 indischen Ärzten, Technikern und Schwestern betrieben, doch man möchte auch Ärzte aus den USA und den Cayman Islands dazu gewinnen.
Angeboten werden medizinische Leistungen der Kardiologie, der Orthopädie, Pulmonologie, der Endokrinologie – teilweise auch für Babys und Kinder.

Schon jetzt sucht Shetty nach weiteren Grundstücken in der karibischen Region, aber auch den Mittleren Osten, Südamerika und Afrika hat er fest im Auge. Sein ambitioniertes Ziel ist es, Narayana Health innerhalb der nächsten 5 Jahre auf eine 30.000-Betten Organisation wachsen zu lassen.

Sieht man, was Dr. Shetty seit Eröffnung der 1. Klinik im Jahre 2001 bis heute alles erreicht hat, so dürfte das ein durchaus realistisches Ziel sein.

Global 3000 - Social Entrepreneurs

Dr. Shetty's Kritik am westlichen Gesundheitssystem

Shetty's Plan ist es, weltweit zu expandieren – nach Afrika, Südamerika und sogar nach Europa. Schon heute belegen Patienten aus 70 Ländern 10 Prozent der Betten in Bangalore.

Die Gesundheitsversorgung vieler Industriestaaten hält er, so war es in einem Artikel von Guido Mingels im Spiegel 33/2013 zu lesen, für ''krankhaft teuer, übertechnisiert, überluxuriös". Sie sei nur an den Bedürfnissen orientiert, kaum an den Kosten und damit nicht zukunftsfähig. Einbettzimmer hält er für eine Sünde. "Die Gesundheitssysteme stammen" so Shetty, "aus einer Zeit, als die Menschen mit 60 pensioniert wurden und mit 70 starben. Heute feiern sie ihren 95. Geburtstag. Das Geld der Steuerzahler wird diese Kosten auf Dauer nicht finanzieren können." In der Ersten Welt sei das Gesundheitssystem im Stadium der Dekadenz. "Sie erfinden dauernd neue Pillen, neue Impfungen und komplizierte Maschinen. Was wir brauchen, sind Innovationen der Arbeitsprozesse."

Ratschläge Dr. Shetty's für Herzgesundheit

Zur Vorbeugung von Herzkrankheiten beziehungsweise zum Erhalt von Herzgesundheit gibt Dr. Shetty in einem Interview zahlreiche Empfehlungen

Einige der wichtigsten Ratschläge:

  • Wenig Kohlenhydrate
  • Wenig Öl (Öle hält er generell für schlecht). Diese Meinung vertritt im übrigen auch der ebenfalls renommierte US-Chirurg und Herzspezialist Dr. B. Esselstyn in seinem Buch "Prevent and Reverse Heart Disease")
  • Viel Obst und Gemüse
  • Mehr Proteine (vor allem pflanzliche)
  • Viel Walnüsse essen
  • Einen entspannten Lebenstil (keine Perfektion im Leben anstreben)
  • Yoga zur Entspannung
  • Das Rauchen aufgeben
  • Gewichts-, Blutzucker und Blutdruckkontrolle sowie regelmäßige Checkups.
  • Übungen und Bewegung (mind. 1/2 Stunde täglich)

Bei weiterhin steigender Bevölkerungszahl, Zunahme zivilationsbedingter Krankheiten und dementsprechend Explosion der Behandlungskosten ist es vermutlich eine Frage der Zeit, bis dieses indische Klinik-Versorgungsmodelll auch in anderen Teilen der Welt Einzug hält.

An genügend indischen Ärzten mangelt es sicher nicht. Schon heute zählt Indien zu den Ländern mit den meisten gut ausgebildeten Ärzten, Krankenschwestern und Medizin-Technikern.

 

 

 

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