Jeder von uns hält es für selbstverständlich, dass die Narkose von einem Arzt durchgeführt wird, der die Atmung und alle anderen Vitalfunktionen während einer Operation mit Hilfe ausgefeilter Technik lückenlos überwacht und dokumentiert.

Einer der vielen Ärzte, die vor 50 Jahren den Anfang einer rasanten Entwicklung miterlebten und mit gestalten konnten, ist Dr. Wrbitzky.

 

Im Jahre 1960 wurde in Tübingen die wohl kürzeste Doktorarbeit vorgelegt, die je von einer medizinischen Fakultät  angenommen wurde: Ganze sieben Seiten stark inklusive Einleitung und Zusammenfassung  war der Text, mit dem Kandidat Rainer Wrbitzky seine Doktorwürde erlangte. 

Damals war die Qualität entscheidend für die Güte einer Arbeit. Nicht die Quantität...

Die in der Arbeit bestimmten CO2-Absorptionskoeffizienten sind heute noch in den Landolt-Börnstein-Tabellen zu finden.  

 

Während der weiteren Ausbildung an der Universitätsklinik Freiburg  forschte Wrbitzky in der Abteilung für Physiologie an Gasen und ihren Eigenschaften. Sogar die Schwimmblase eines Guppyfischs wurde punktiert, um die Zusammensetzung des Inhaltes zu erforschen!

 

In einem kleinen Krankenhaus in der Nähe Freiburgs musste Dr. Wrbitzky als chirurgischer Assistent hilflos zusehen, wie eine junge Frau während eines Bagatelleingriffs nach einer Äthernarkose  aufhörte zu atmen, -  und starb.

Moderne Reanimationsmethoden waren keinem der anwesenden Ärzte oder Pfleger bekannt.

Damit stand sein Entschluss fest,  sich der jungen und wenig anerkannten Fachrichtung Anästhesie zuzuwenden.

 

Dr. Rainer Wrbitzky

Dr. Rainer Wrbitzky

Ursprung und Anfang vor 165 Jahren

Den eigentlichen Beginn der Entwicklung verdankt die Menschheit auch im Fachbereich Anästhesie, wie so oft, dem Zufall:

Im Dezember 1844 beobachtete der Zahnarzt Horace Wells in Hartford, Connecticut, USA, wie sich auf einem Jahrmarkt Freiwillige als besondere Attraktion mit Lachgas (Distickstoffmonoxid) berauschten. Einer der Gaukler zog sich dabei eine klaffende Oberschenkelwunde zu, ohne irgendeine Schmerzempfindung zu zeigen. Sogleich erkannte der Zahnarzt die unglaubliche Bedeutung dieser Beobachtung. Er lief zurück in seine Praxis und ließ sich unter Lachgas völlig schmerzlos einen Weisheitszahn ziehen.

Der weitere Weg war mit Rückschlägen gepflastert wie bei jeder revolutionären Neuerung, aber die Entwicklung zur modernen Narkose ließ sich nicht aufhalten.

1846 führte William Thomas Green Morton mit dem Chirurgen John Warren bei dem Patienten Gilbert Abbott einen operativen Eingriff unter Äthernarkose durch.  

Der Hörsaal der Harvard Medical School im Massachusetts General Hospital wurde weltberühmt unter dem Namen "Ether Dome"  - der Geburtsort der modernen Anästhesie.

Endlich mussten die Operationssäle nicht mehr weit entfernt von den Krankensälen gebaut werden, damit die Patienten nicht ständig die lauten Schmerzschreie hören mussten...

Heute ist mit hochentwickelten Geräten eine schonende Betäubung und lückenlose Überwachung der Vitalfunktionen des Patienten während der Operation gewährleistet.

Es gibt die Allgemeinanästhesie und Regionalanästhesie in vielen verschiedenen Methoden, auch kann beides  kombiniert werden; zusätzlich besteht die Möglichkeit, mittels Schmerzkatheter eine wirksame Schmerzbekämpfung  (eventuell mit Schmerzpumpen sogar durch den Patienten selbst gesteuert) postoperativ durchzuführen. Dies macht das Fachgebiet zu einem äußerst komplexen Betätigungsfeld.

Der Anästhesist ist heute nicht mehr einfach Narkosearzt, sondern Arzt für perioperative Medizin, ein moderner Manager für alle Belange des Patienten im operativen Umfeld. Auch die moderne Notfall- und Rettungsmedizin gehört zum Berufsbild. Diese Entwicklung begann aber erst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts.

Entwicklung der Narkose im 20. Jahrhundert:

vorher

Damit kommen wir in die 1960er Jahre zurück und sehen uns in der medizinischen Landschaft um: 

Ein Anästhesiearzt ist fast nirgendwo zu finden. In der chirurgischen Praxis werden Äthernarkosen mit einfachen Tuchmasken von Schwestern oder Pflegern durchgeführt bis der Patient schläft, und  - wenn alle Glück haben – wieder aufwacht.

Der junge Anästhesist Dr. Wrbitzky kommt im Gefolge des Neurochirurgen Prof. Umbach im Jahr 1967 – wie er denkt für einen kurzen Zeitraum - an das Jung-Stilling-Krankenhaus in Siegen.  Nach vier Wochen wird er vom Kuratorium gefragt, ob er eine Anästhesieabteilung an diesem Krankenhaus aufbauen wolle. 

Was für Möglichkeiten! Welche Perspektiven!

Die Abteilung für Anästhesie, Intensiv- und Rettungsmedizin am Jung-Stilling-Krankenhaus wird gegründet, vorangetrieben von den Visionen und der Tatkraft des mit 32 Jahren wohl jüngsten Chefarztes Deutschlands (der sich nicht einmal für seine Stelle beworben hatte!).

Zunächst jedoch ist er nur Chefarzt über mehrere Narkosegeräte: Assistenzärzte sind in jener Zeit schwer zu finden, und schon gar nicht für Anästhesie.

Ein fähiger Pfleger namens Adolf Schulz und Schwester Brigitte Holch  sind sein Team der ersten Stunde.

Gearbeitet wird Tag und Nacht. Von Arbeitszeitgesetz, Urlaubstagen, Freizeitgestaltung und Überstundenvergütung zu reden,  dafür hat man keine Zeit.

Arbeiten bis zum Umfallen, dann eine starke Tasse Kaffee, - und wieder weitermachen...

Nebenher überlegt der Arzt sich eine neue Methode, venöse Zugänge zu legen, und erfindet den Subclaviakatheter.

Bereits im ersten Jahr werden 1.845 Narkosen durchgeführt.

Der Pfleger Schulz hat eines der Anästhesiegeräte auf ein Brett geschraubt, und das packt Wrbitzky ins Auto und fährt damit Krankenhäuser und Arztpraxen im ganzen Siegerland bis in den hohen Westerwald an, um Narkosen zu machen.

Pause

Pause

Gleichzeitig wächst die Abteilung am Jung-Stilling-Krankenhaus.

Zwei Jahre dauert es, bis eine Sekretärin und die ersten ärztlichen Mitarbeiter das Team vergrößern.

Unter Wrbitzkys Regie bekommt Siegen zu Beginn der 70er Jahre mit der Einführung des Notarztwagens als zweite Stadt Deutschlands nach Heidelberg ein modernes Rettungssystem.

Zehn Jahre später, im Dezember 1981, fliegt der erste ADAC-Rettungshubschrauber über das Siegerland. Der verwaltungstechnische Vorlauf war enorm.

seit September 2002 hat der ...

seit September 2002 hat der Eurocopter EC 135 die BO 105 abgelöst

viele Infos zum Rettungshubschrauber auf: www.christoph25.de

Jung-Stilling-Krankenhaus Anfang der 1980er Jahre

Dr. Wrbitzky  hat in 31 Jahren, bis zum Januar 1998, eine große Abteilung mit 18 ärztlichen Mitarbeitern aufgebaut und war darüber hinaus 8 Jahre lang ärztlicher Direktor des  Jung-Stilling-Krankenhauses.

So wie an allen modernen Krankenhäusern weltweit ist die Anästhesieabteilung selbstverständlich geworden.

Aber trotz der High-Tech - Narkose- und Intensiv-Überwachungsgeräte vermittelte Dr. Wrbitzky seinen Mitarbeitern noch die Medizin am Menschen:

"Wesentlich ist die menschliche Hinwendung zum Patienten und die Wahrnehmung seiner vitalsten Elementarinteressen. Schaut nicht zuerst auf den Monitor und das EKG. Schaut auf den Patienten. Hören, Sehen, Tasten, Riechen müsst ihr, was los ist!" erklärt er, "Unendlich viel Kraft und Anteilnahme wird gebraucht und muss an den Patienten weitergegeben werden!"

Egal wie viel zu tun war, Dr. Wrbitzky hatte Zeit für seine Patienten und ehrliches Interesse an ihren Lebensumständen.  Das war nicht zuletzt die Grundlage für das große Vertrauen, das ihm entgegengebracht wurde.

Denn so bedeutend auch die Technisierung die moderne Medizin verbessert hat, - echte menschliche Zuwendung bleibt unersetzlich.

 

Dr. Rainer Wrbitzky im Oktober 2009

Dr. Rainer Wrbitzky im Oktober 2009

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