Sozialisation auf dem Schrottplatz

Sozialisation auf dem Schrottplatz (Bild: © Hannelore Louis / pixelio.de)

Aufputschmittel zum Ertragen der kruden Realität

Die Regisseurin Anja Behrens lässt drei Generationen auftreten: Drei Kinder, drei Jugendliche und drei junge Erwachsene. Letztere werden von den relativ frischen DT-Jungprofis Benjamin Lillie, Thorsten Hierse und Linn Reusse dargestellt. Es zeichnet sich eine Entwicklung ab, die aber immer wieder konterkariert wird durch eine Überlappung der Zeiten. Die Kinder sind noch anwesend, auch verbal, wenn die einstigen Sprösslinge längst das Studentenalter erreicht haben. Wie sie angesichts der Verhältnisse das Abitur geschafft haben, wird nicht erzählt, wahrscheinlich mussten rein aus Gewohnheit irgendwelche stimmungsaufhellende Aufbaupräparate und sonstige Stimulanzien herhalten. Insgesamt neun Schauspieler*innen versammeln sich auf der kleinen Bühne der Box, wo als aufmerksamkeitserregender Blickfang von der Decke ein zusammengepresster Schrottballen in froschgrüner Farbe herunterhängt. Die erinnert an das satte Grün früherer polizeilicher Streifenwagen, die in der Sonnenhelle besonders intensiv aufblitzten. Mit diesem Schrottklumpen – ein kluger Bühneneinfall! – werden schöne Lichtspiele arrangiert. Selbst auf den nackten Sohlen der Bühnengewaltigen ist das Grün zu sehen, als sei ihnen der Schrottplatz in den Leib eingeschrieben.

 

Das Glück ist draußen zu finden

Ein – zumindest für Außenstehende – fulminanter Autocrash des Vaters, langes Wegbleiben, Sehnsucht der Kinder und Drogen als Palliativ. Was machen Patienten, deren Leib-, besser und moderner: Hausarzt schnell mal eine Woche aus unerfindlichen Gründen wegbleibt? Das hat die Autorin Antonia Baum gar nicht reflektiert. Sie bildet nicht die dröge Wirklichkeit ab, sondern schafft eine künstliche neue, an der sich die in Routine erstickenden Alltagsmenschen orientieren sollen. Leider – und das muss nun einmal erwähnt werden – denkt man bei dieser Geschichte an bizarre Drehbücher von Fernsehfilmen, etwa "Tatort", wo selbst eine Kunstprofessorin nebenbei als extrem scharfe Prostituierte arbeitet, um die ohnehin saturierte Kasse noch weiter aufzubessern. Aber für eine Theaterinszenierung, die sich zuweilen extrovertiert gebärdet, ist das Spiel mit sich überschlagenden Fakten ganz unterhaltsam. Sobald Hierse und Lillie den Papa Theodor spielen, kleben sie sich einen grünen Streifen auf ein Auge. Hierse, der ohnehin den ältesten Nachwuchs Jonny spielt und sich als Geschwister-Oberhaupt präsentiert, legt einen Vater hin, der auch mal ein Machtwort ergreift. Der Ton hat einen Beiklang von Härte, die Augenbrauen überwölben die sich zu Schlitzen verengenden, hervorspringenden Augen. Lillie, der auch eine besorgte Bürokratiefrau vom Sozialamt spielt, ist in dieser Rolle eher ein besänftigender Hallodri, der zwischen Ernst und Schlitzohrtum hin- und herpendelt. Das muss man erst einmal auf die Bühne bringen – ein undergroundiger Hasardeur, der scheinbar mitten im bürgerlichen Berufsleben steht und von seinen ins Leben geschleuderten Erzeugnissen geliebt und gehasst wird. Die Sehnsucht nach Wärme ist groß – gegen Ende liegen die drei Geschwister auf dem Boden, zu einem Knäuel vereinigt. Nestbau von unten, weil die obere Instanz versagt. Anja Behrens schafft mit ihrem Theaterabend wahrlich keine neuen Erkenntnisse, aber zumindest eine kurzweilige kunterbunte Unterhaltung. Diese andere Wirklichkeit ist allerdings dermaßen fragil, dass sie jederzeit zusammenbrechen könnte.

 

Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren

nach dem Roman von Antonia Baum

Regie: Anja Behrens, Bühne: Jessica Rockstroh, Kostüme: Veronika Witlandt, Musik: SOS Gunver Ryberg, Dramaturgie: Birgit Lengers, Hannes Oppermann.

Es spielen: Linn Reuse, Benjamin Lillie, Thorsten Hierse, Luzie Priegann, Paul Stiehler, Paul Pinkowski, Sefa Agnew, Oskar von Schönfels, Bruno Liebler.

Deutsches Theater Berlin

Premiere vom 13. März 2016

Dauer: 90 Minuten

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