Richard Strauss und die symphonische Dichtung

Bei einem Blick auf das Gesamtwerk von Richard Strauss fällt auf, dass er sich größtenteils auf zwei musikalische Gattungen konzentrierte: die Oper und die symphonische Dichtung. Mit "Also sprach Zarathustra" brachte er philosophische Ideen zum Klingen. Für "Till Eulenspiegels lustige Streiche", "Don Juan" und "Don Quixote" wandte er sich literarischen Werken zu. "Macbeth" basiert auf einem Drama von Friedrich Schiller, aber auch auf historischen Ereignissen. Die symphonische Dichtung "Eine Alpensinfonie" nimmt den Hörer mit auf eine musikalische Wanderung durch die Alpen. Selbst Kuhglocken werden in diesem Werk eingesetzt. Die Werke "Aus Italien" und "Ein Heldenleben" passen allerdings nicht in das Schema der klassischen symphonischen Dichtung, denn hierbei geht es darum, persönliche Erfahrungen zu verarbeiten.

 

Richard Strauss komponierte "Ein Heldenleben" in einer Phase, in der er bereits ein gefeierter Komponist und Dirigent war. Aber was hat ihn an diese Position gebracht? Richard Strauss gibt in diesem Werk einen musikalischen Einblick in seine Selbstzweifel und die Auseinandersetzung mit seinen Kritikern. Diese Tatsache macht dieses Werk meiner Meinung nach so interessant für uns, denn auch wir müssen uns ständig mit Selbstzweifeln und Kritikern auseinandersetzen. Wenn das auf Ihr Leben nicht zutrifft, herzlichen Glückwunsch! Auf mein Leben jedenfalls schon, und darum ist es gerade diese symphonische Dichtung, die mich geprägt und in den letzten Jahren begleitet hat.

Musikalische Struktur und Inhalt

Der Begriff monumental bzw. außergewöhnlich beschreibt dieses Werk von Richard Strauss am besten. Prachtvoll werden die einzelnen Instrumentengruppen eingesetzt, zugleich verfügt das Werk aber auch über emotionale Tiefe. Selbstbewusst, ja teilweise sogar selbstverherrlichend, präsentiert sich Richard Strauss in diesem Werk, welches 1898 vollendet und ein Jahr später in Frankfurt am Main uraufgeführt wurde.

 

Die symphonische Dichtung "Ein Heldenleben" folgt einer festen Struktur, welche Sie sich einprägen sollten, vor allen Dingen, wenn Sie die Gelegenheit haben, dieses Werk in einem Live-Konzert zu erleben. Strauss hat sein Werk in sechs Abschnitte unterteilt, die nahtlos ineinander übergehen. Der erste Abschnitt charakterisiert den Helden. Hierfür setzt Strauss vor allen Dingen Hörner ein. Garantiert hat er sich an dieser Stelle von Richard Wagner inspirieren lassen, denn auch Wagner verwendete oft Hörner, um seinen "Siegfried" anzukündigen oder zu charakterisieren. Der zweite Abschnitt charakterisiert die Widersacher des Helden. Die Musik in diesem Abschnitt ist lebhaft und von scharfen Klängen geprägt. Man kann sich gut vorstellen, dass diese Widersacher alle Hebel in Bewegung setzen, um den Helden zu zerstören oder kleinzuhalten. Zum Glück hat der Held eine treue Gefährtin an seiner Seite. Diese Gefährtin wird durch die Solovioline dargestellt. Nach der Auseinandersetzung mit den Widersachern ist der dritte Abschnitt eher lyrisch angelegt. Doch wie bei Siegfried und Brünnhilde am Anfang von Wagners "Götterdämmerung" will der Held "zu neuen Taten". Es drängt ihn zurück auf das Schlachtfeld, mitten in die Auseinandersetzung mit seinen Widersachern. Nur hier, nicht in der Gegenwart seiner Gefährtin, kann er sich den Heldenstatus erarbeiten, den er sich wünscht. Strauss überschreibt den vierten Abschnitt "Des Helden Walstatt". In diesem Abschnitt ist die Musik dramatisch, ja aggressiv. Doch am Ende setzt sich der Held durch. Der Begriff "Walstatt" begegnet uns auch in Wagners "Walküre". Er setzt sich aus den Begriffen "Wal" und "Statt" zusammen und stammt aus der germanischen Sprache. "Wal" lässt sich mit den Begriffen Kampf, Schlacht und Töten ins heutige Deutsch übertragen. "Statt" wiederum bezeichnet einen Ort bzw. ein Schlachtfeld. Die wortwörtliche Übertragung des Begriffes "Walstatt" beschreibt also einen Ort des Krieges. Man kann über Richard Wagner denken, was man will, aber ich glaube, selbst seine größten Kritiker müssen neidlos anerkennen, dass Wagner neben Beethoven und Johann Sebastian Bach die deutsche Musik maßgeblich geprägt hat. Wir haben bis zu diesem Punkt bereits drei Aspekte entdeckt, bei denen sich Strauss bei der Komposition seines "Heldenleben" offensichtlich von Wagner inspirieren ließ.

 

Im Gegensatz zu Wagners "Siegfried" setzt sich bei Strauss der Held durch. "Des Helden Friedenswerke" und "Des Helden Weltentsagung und Vollendung" lauten die beiden letzten Abschnitte des Werkes von Richard Strauss, welches – und Sie werden mir garantiert zustimmen – die Bezeichnung "monumental" auf alle Fälle verdient. Dabei haben Sie sich bis zu diesem Zeitpunkt lediglich mit der Struktur dieses Werkes auseinandergesetzt.

 

Stolpern Sie auch über den Begriff "Friedenswerke"? Nun gut, ich werde ihn erklären. Meiner Meinung nach ist dieser Begriff inspiriert durch – Sie ahnen es sicherlich – Richard Wagner. Neben seinem Festspielhaus in Bayreuth ließ Wagner nämlich auch eine Villa bauen. Bei deren Einweihung soll Wagner gesagt haben, dass dies der Ort sei, "wo sein Wahn den Frieden fand". Wenn wir den Begriff "Friedenswerke" definieren wollen, muss diese Definition folgendermaßen lauten: Friedenswerke sind die Werke, oder um bei unserem eigentlichen Thema zu bleiben, Heldentaten, auf denen wir unseren Heldenstatus gründen. Eine zweite Definition könnte lauten: Friedenswerke sind Werke, die Sie zu der Person gemacht haben, die Sie heute sind. Sicherlich macht es Sinn, an diesem Punkt einmal kurz innezuhalten und über Ihre eigenen "Friedenswerke" nachzudenken.

 

Ich erwähnte bereits, dass "Ein Heldenleben" in einer Phase entstand, in der Richard Strauss bereits ein gefeierter Komponist und Dirigent war. Welche Werke haben ihn dahin gebracht? Vor allen Dingen, wenn Sie sich intensiv mit den anderen symphonischen Dichtungen von Strauss auseinandergesetzt haben, werden Sie in diesem Abschnitt einige Motive aus diesen wiedererkennen. Deutlich zu hören sind Motive aus "Don Juan" und "Don Quixote", aber auch aus "Till Eulenspiegels lustige Streiche". Weniger deutlich ist allerdings das berühmte Motiv des Sonnenaufgangs aus "Also sprach Zarathustra", aber da müssen Sie schon sehr genau hinhören. Da die Motive teilweise verschachtelt ineinander übergehen, sind sich selbst Experten uneinig, welche Werke in diesem Abschnitt anklingen. Einige Experten glauben, dass auch die Werke "Tod und Verklärung" und "Macbeth" hier zu hören sind bzw. angedeutet werden.

 

Der letzte Abschnitt lautet "Des Helden Weltentsagung und Vollendung". Die Musik in diesem Abschnitt hat eher meditative Züge und stellt den Rückzug des Helden dar. Ich sehe in diesem Abschnitt des Werkes einen Appell an die Nachwelt. Es ist so, als ob Strauss uns zurufen möchte, dass in jedem von uns ein Held steckt. Wir müssen nur den Mut haben, uns zurückzuziehen – der Welt und ihren Ansprüchen an uns zu entsagen – und uns auf unsere "Friedenswerke" zu konzentrieren. Dies fordert manchmal auch Opferbereitschaft. Helden können nicht auf jeder Party tanzen, und vor allen Dingen können sie es nicht allen recht machen. Streng genommen sind sie nur ihren "Friedenswerken" verpflichtet. In dieser Phase des Stückes kommt auch noch einmal die Gefährtin des Helden zu Wort und tritt mit ihm in einen Dialog. Die letzten Takte sind dann von erhabenen Blechbläserklängen geprägt. Es ist so, als ob der Held mit seiner Gefährtin in ihr "Walhall" einzieht und es in Besitz nimmt. Im Gegensatz zu Wagners "Götterdämmerung", wo die Götterburg mit allen ihren Göttern untergeht und die Helden an ihrer Gier nach Macht scheitern, kreiert Richard Strauss einen positiven Helden, der zwar Widersacher hat und Zweifel durchlebt, aber genau diese Tatsache macht diesen Helden zu einem Helden. Strauss hat sich an vielen Stellen dieses Werkes bewusst oder unbewusst von Wagner inspirieren lassen, am Ende wendet er sich aber gegen ihn. Sein Held scheitert nicht.

Besonderheiten und Interpretation

"Ein Heldenleben" wurde bereits bei seiner Uraufführung begeistert aufgenommen und gilt heute als eines der beliebtesten Werke von Richard Strauss. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass dieses Werk sehr hohe Ansprüche an die Ausführenden stellt. Sowohl der Dirigent als auch das Orchester können hier zeigen, wozu sie fähig sind. Aufgrund seiner Beliebtheit wurde dieses Werk von vielen renommierten Orchestern und namhaften Dirigenten eingespielt.

 

Eine dieser Einspielungen ragt aus allen anderen hervor: die Aufnahme mit dem Dirigenten Rudolf Kempe und der Staatskapelle Dresden. Diese Einspielung ist übrigens Teil einer Gesamteinspielung sämtlicher symphonischer Dichtungen von Richard Strauss – eine Leistung, die bis heute nicht wiederholt wurde. Diese Aufnahme stammt aus dem Jahr 1972 und entspricht somit nicht mehr den neuesten technischen Ansprüchen, ist aber aus musikalischer Sicht ein Schatz. Besser geht es kaum.

 

Zum Abschluss möchte ich noch kurz auf eine interessante Tatsache hinweisen: Die grundlegende und vorherrschende Tonart dieser symphonischen Dichtung ist Es-Dur. Diese Tatsache ist bemerkenswert, weil auch Beethovens 3. Sinfonie in dieser Tonart komponiert wurde. Ursprünglich hatte Beethoven geplant, diese Sinfonie Napoleon Bonaparte zu widmen, zog diese Widmung jedoch zurück, nachdem Napoleon sich selbst zum Kaiser gekrönt hatte. Trotzdem hört man Beethovens Werk an, dass es für einen Helden komponiert wurde. Dass dieser Held dann aufgrund seiner Überheblichkeit scheitern würde, konnte Beethoven bei Beginn der Komposition nicht wissen. Menschen haben immer zwei Möglichkeiten: Entweder setzen sie sich durch und werden zu Helden, oder sie scheitern an ihren Ansprüchen oder zu hohen Visionen.

 

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Bildquelle: Pixaby

 

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