Fast nach Hollywood

Jacques Becker zog es zum Film, und fast hätte es schon früh geklappt. Als er mit achtzehn Jahren als Steward auf dem Dampfer Le Havre-New York arbeitete, lernte er den amerikanischen Filmregisseur King Vidor kennen. Vidor war bereit, ihn als seinen Assistenten in Hollywood arbeiten zu lassen. Doch Becker war am 15.9.1906 in ein großbürgerliches Elternhaus hineingeboren worden und der Vater verbot es ihm. Der Sohn sollte etwas Richtiges arbeiten, und so wurde er in der Firma des Vaters angestellt, wo er sich bis zu seiner nächsten Gelegenheit, ins Filmgeschäft einzusteigen, langweilte.

King Vidor (rechts)

Richard Todd and King Vidor Joking with Ruth Roman on the Set of Film "Lightning Strikes Twice" (Bild: Ed Clark)

Werbung für den Dampfer Le Havre-New York.

Poster Emphasising the Great Size of the French Transatlantic Liner at le Havre (Bild: 1876944)

Assistent bei Jean Renoir

1932 bat Becker Jean Renoir, der ein Urlaubsbekannter der Familie war, ihn als Assistenten zu nehmen. Es störte ihn nicht, dass es schwierig wurde, seine Frau Geneviève (im Laufe der Zeit kamen drei Kinder) zu ernähren, und an finanzielle Unterstützung durch den Vater war nicht zu denken. Bis zu dem Film "La Marseillaise"(1938) arbeitete er mit Unterbrechungen an insgesamt neun Filmen für Renoir und war auch hin und wieder für Szenen allein verantwortlich.

Jean Renoir

French Director Jean Renoir, Son of Impressionist Painter Pierre Auguste (Bild: Ed Clark)

Ausschnitt aus Renoirs "La Marseillaise"

Der erste eigene Film

Wiederholt versuchte er, auf eigenen Füßen zu stehen, aber erst 1942 gelang es ihm mit "Der letzte Trumpf", einem erfolgreichen Kriminalfilm nach amerikanischem Vorbild. Es folgte "Eine fatale Familie" (1943), der im bäuerlichen Milieu spielt. Zum ersten Mal behandelt Becker hier das Thema der sozialen Gruppe und eines aus ihr hervorgehenden Verräters. 1945 folgte "Haute Couture", ein Melodrama im Modemilieu, das er in seiner Kindheit kennengelernt hatte, als seine Mutter einen Modesalon geleitet hatte.

Ein Film über das Alltagsleben junger Leute

Mit "Antoine und Antoinette"(1947) schlug er einen neuen Weg ein. Er wandte sich dem städtischen Alltag zu und beschrieb in heiterer Form das Alltagsleben eines Arbeiterehepaares, das in einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung unter dem Dach wohnt. Ebenso wichtig wie die Schilderung dieser Beziehung sind die vielen Nebenfiguren, die Freunde und Nachbarn und die Beschreibung des Milieus, des Lebens auf der Straße und bei der Arbeit. In diesem Film findet sich sowohl der Einfluss des vereinfachend "neorealistisch" genannten italienischen Kinos der Nachkriegszeit als auch der der klassischen französischen Komödie. Wie in René Clairs "Die Million" (1932) wird die Handlung von der Suche nach einem scheinbar verlorenen Lotterielos zusammengehalten.

Rock 'n Roll am Kai in Paris (Bild: Paul Almasy)

Escaliers a Montmartre, Paris (Bild: Henri Silberman)

Meisterwerk mit „Goldhelm“

"Jugend von heute" (1949) gab ihm die Gelegenheit, seine Liebe zum Jazz in einem Film unterzubringen. "Edouard und Caroline" (1951) und "Liebe im Kreis" (1953) sind noch einmal Beziehungsfilme. Ersterer ist gleichzeitig eine Satire auf das Großbürgertum, dem Becker in seinen Filmen wenig positive Seiten abgewinnt. Zwischen diesen beiden Filmen entstand das Meisterwerk "Goldhelm" (1952), ein emotional zurückhaltendes Melodrama im Verbrechermilieu der Jahrhundertwende. Becker legt größten Wert auf Realismus, verzichtet auf jeden Ausstattungskitsch, der in Filmen über diese Zeit oft das Bild füllt. Das Geschehen ist eingebettet in eine Atmosphäre der Alltäglichkeit, die dem Publikum und vielen Kritikern banal vorkam. Dabei ist gerade dies eine der Qualitäten des Films.

"Goldhelm" (OmeU)

Filme gezielt fürs Publikum

Nach dem kommerziellen Misserfolg mit "Goldhelm" suchte er bewusst Anschluss ans Publikum. "Ali Baba" (1954) und besonders "Arsène Lupin, der Millionendieb" (1957) sind vergnügliche Unterhaltung auf hohem Niveau. Und der äußerst erfolgreiche melancholische Gangsterfilm "Wenn es Nacht wird in Paris" (1954), dessen Titelstück, nur mit Klavier und Mundharmonika, ein Verkaufsschlager wurde, erzeugte eine Welle von Filmen ähnlicher Art. Außerdem übernahm er nach Max Ophüls´ Tod die Modiglianibiographie "Montparnasse 19" (1958). Dies war Ophüls´ Wunsch gewesen.

"Wenn es nacht wird in Paris" (französischer Trailer).
DVD "Wenn es Nacht wird in Paris" im Original mit englischen Untertiteln.
Touchez Paz Au Grisbi [UK Import]

Der letzte Film „Das Loch“ – Ein Klassiker

1959 drehte Becker sein zweites Meisterwerk "Das Loch", die detaillierte Schilderung eines gescheiterten Gefängnisausbruches. Hier finden sich viele von Beckers Themen und Vorlieben versammelt. Der Verzicht auf eine Hauptfigur zugunsten mehrerer Figuren einer Gruppe, die Themen Männerfreundschaft und Verrat, die Vorliebe für die Rekonstruktion einer realen Atmosphäre. Wenn die Gefangenen, die von Amateuren dargestellt werden, mit einer Metallstange den Boden aufhauen, so haben sie mit echtem, hartem Zement zu kämpfen. Immer wieder zeigt Becker solche Szenen in Realzeit ohne Musik. Auch gesprochen wird dabei kaum.

Becker konnte "Das Loch" noch vor seinem Tod schneiden, aber die Endabmischung musste der Sohn Jean vornehmen. Am 18.3.1960 hatte der Film Premiere in einer Länge von etwa 140 Minuten. Nach Kürzungen blieben 116 Minuten übrig. Die fehlenden Minuten sind bisher nicht wiederentdeckt worden.

Jacques Becker starb am 21.2.1960 nach jahrelanger Krankheit. Seine zweite Frau Françoise hatte er 1958 geheiratet. Im Ganzen hatte er vier Kinder.

DVD "Das Loch" im Original mit englischen Untertiteln.
Le Trou [UK Import]
"Das Loch" (Ausschnitte)

Jean Renoir über Jacques Becker

Jean Renoir widmete Becker in seiner Autobiographie "Mein Leben und meine Filme" ein eigenes Kapitel. "Als Jacques Becker zu mir stieß, war er noch ein Junge oder vielmehr ein junger Mann. Alles, was ich nicht mag, verkörperte er in Reinkultur: Er kam aus dem französischen Großbürgertum, kannte sich aus in allen Bars und war Mitglied teurer Sportclubs. Als ich diesen Lack abgekratzt hatte, traf ich auf einen Menschen, der mich begeisterte und der selbst begeisterungsfähig war."

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