Ansicht im Spiegel (Bild: OpenClips/Pixabay.com)

Angst, so hässlich zu sein (Bild: OpenClips/Pixabay.com)

Erscheinungsformen der Dysmorphophobie

Viele der von der eingebildeten Hässlichkeit Betroffenen können an keinem Spiegel vorbeigehen, ohne ihren vermeintlichen Schönheitsfehler, sei es eine schiefe Nase, krumme Beine oder Hautausschlag, ausgiebig zu "begutachten". Auch in ihrer Wohnung verbringen sie Stunden vor dem Spiegel, wobei sie verzweifelt versuchen, den Schönheitsfehler, der nur in ihrer verzerrten Selbstwahrnehmung existiert, in irgendeiner Weise zu kaschieren, beispielsweise durch "vorteilhafte Kleidung" oder durch eine dicke Make-up-Schicht. Im Extremfall wagen sie sich gar nicht mehr "unter Menschen", weil sie die kritischen Blicke ihrer Umwelt fürchten, erreichen dadurch keinen Schulabschluss oder verlieren ihren Job. Auch Freundschaften und Partnerbeziehungen gehen häufig in die Brüche. Manche Betroffene denken deshalb sogar an Suizid. Die zwischenmenschlichen und beruflichen Folgen der Dysmorphophobie führen also nicht selten zu einem Teufelskreis, der das ganze Leben zu ruinieren vermag. Deshalb ist es völlig verfehlt, diese Erkrankung zu unterschätzen oder als "Marotte von Spinnern" abzutun. Dies wird auch deutlich, wenn man eine spezielle Variante der Dysmorphophobie betrachtet, nämlich das Muskeldysmorphie-Syndrom. Und zwar sind vom Muskeldysmorphie-Syndrom hauptsächlich sehr muskulöse Männer betroffen, die aufgrund einer gestörten Körperwahrnehmung glauben, dass sie nur eine gering ausgebildete Muskulatur besitzen und deshalb in Fitnessstudios "bis zum Umfallen" Gewichtheben trainieren und vielleicht noch gesundheitsschädliche Präparate zum Muskelaufbau einnehmen. Ferner sind die Betroffenen von der Furcht besessen, Fett anzusetzen. Hier besteht eine Parallele zur Magersucht, bei der sich ja die Betroffenen, wenn sie sich im Spiegel betrachten, für übergewichtig halten, während sie faktisch nur noch "aus Haut und Knochen bestehen".Wichtig ist ferner die Affinität zur Sozialphobie, also zur "sozialen Angst". So haben nicht nur Körperdysmorphe, sondern auch Sozialphobiker die starke Neigung, soziale Kontakte zu meiden. Das heißt: Beide haben Angst vor Situationen, in denen andere Menschen sie bewerten könnten. Nach klinischen Studien geht auch sehr häufig einer körperdysmorphen Störung eine soziale Phobie voraus.

Selbstwahrnehmung eines körperdysmorphen Mannes (Bild: Nemo/Pixabay.com)

Selbstwahrnehmung einer körperdysmorphen Frau (Bild: Nemo/Pixabay.com)

Ursachen der Dysmorphophobie

Die Erforschung der Ursachen der Dysmorphophobie steckt noch in den Kinderschuhen. Die Experten sind sich jedoch darin einig, dass die Erkrankung in der Regel in der Pubertät beginnt. Danach entwickeln 5% der Heranwachsenden eine Dysmorphophobie. Mädchen wie Jungen sind gleichermaßen betroffen. Dabei könnte

  1. eine genetische Komponente eine Rolle spielen. So hat sich gezeigt, dass Dysmorphophobie in manchen Familien gehäuft auftritt;
  2. ist auch Hänseln, also wenn ein Jugendlicher erlebt, dass sich andere über einen körperlichen Makel, den er angeblich besitzt, lustig machen, als auslösender Faktor von Bedeutung. Durch Hänseln und Mobbing können auf jeden Fall psychische Probleme, die im Jugendalter gehäuft auftreten wie Minderwertigkeitskomplexe und ein mangelhaftes Selbstwertgefühl, erheblich verschlimmert werden, so dass diese letztlich in eine Dysmorphophobie einmünden. Das Auftreten solcher den Ausbruch einer Dysmorphophobie begünstigenden psychischen Probleme im Jugendalter kann wiederum darauf zurückgeführt werden, dass die Betroffenen in ihrer frühen Kindheit vernachlässigt worden sind und dadurch nicht genügend Anerkennung erfahren haben. Das gestörte Köperbild hat also oft seine Grundlage in negativen Reaktionen seitens der Umwelt in der Kindheit und Jugend;
  3. scheint auch die ständige Konfrontation mit Schönheitsidealen in den Medien die Anfälligkeit für die körperdysmorphe Störung zu erhöhen. So haben viele Studien gezeigt, dass Menschen, je häufiger sie Idealbilder in ihrer Umgebung sehen, desto mehr zum Vergleichen tendieren und beginnen, sich "hässlich" zu fühlen;
  4. könnte der Ausbruch dieser Erkrankung auch darauf zurückzuführen sein, dass die Betroffenen über einen gesteigerten Sinn für Ästhetik, Symmetrie und Form sowie über einen Hang zum Perfektionismus verfügen. Dafür spricht, dass viele der Betroffenen sich auch sonst zu Ästheten entwickeln und sich zudem häufig ein entsprechendes Berufsfeld suchen, also Graphiker, Architekten, Kunsthistoriker, Künstler etc. werden;
  5. könnte die KDS aber auch eine physische Ursache haben. So vermuten Forscher, dass bei dieser Störung der Serotoninhaushalt im Gehirn aus dem Gleichgewicht gerät, so dass zu wenig "Glückshormone" produziert werden – ähnlich wie bei Zwangsstörungen und Depressionen. Für einen Zusammenhang zwischen KDS und den Letzteren spricht auch, dass schätzungsweise 70 Prozent der KDS-Patienten im Lauf ihrer Erkrankung zusätzlich depressiv werden.

Die Behandlung der Dysmorphophobie

Da den an Dysmorphophobie Erkrankten die Einsicht fehlt, dass sie an einer psychischen Störung leiden, sondern fest davon überzeugt sind, dass sie physische Mängel haben, erhoffen sie sich Hilfe von Medizinern, die für physische Leiden zuständig sind, nämlich von Dermatologen, HNO- und Zahnärzten, Kieferchirurgen, vor allem aber von plastischen Chirurgen. Das große Problem dabei ist, dass eine Operation bei KDS-Patienten nicht den erhofften Erfolg bringt, weil sich an der Überzeugung, hässlich zu sein, bei den Betroffenen nichts ändert. Das heißt: Der eingebildete oder überbewertete Makel kann nie zur Zufriedenheit des Patienten entfernt werden. Er wird immer wieder neue Schönheitsfehler an sich entdecken, so dass er letztlich süchtig wird nach weiteren Schnitten. Der inzwischen verstorbene Popstar Michael Jackson war nach Ansicht von Psychologen ein Paradebeispiel für diese Problematik. Weil also bei der Dysmorphophobie der tatsächliche Makel nicht dem empfundenen Makel entspricht, bietet eine kosmetisch-medizinische Behandlung keine ausreichende Hilfe, sondern die Krankheitssymptome verschlimmern sich sogar noch. Wirkliche Hilfe bietet nur eine psychologische Therapie. Und zwar sollten nach Expertenmeinung neben tiefenpsychologisch orientierter Psychotherapie auch verhaltenstherapeutische Maßnahmen zum Einsatz kommen. Die Betroffenen bauen dabei im besten Fall ein realistisches Selbstbild auf, und zwar indem sie die Einstellung zu sich selbst korrigieren und die übermäßige Bedeutung des Aussehens relativieren sowie die tatsächlichen Reaktionen ihrer Mitmenschen beobachten und analysieren. Der Erfolg hängt jedoch nicht zuletzt auch davon ab, dass komorbide Störungen wie Depressionen mitbehandelt werden.

Fazit

Die körperdysmorphe Störung, bei der die Betroffenen sich einbilden oder Angst haben, abstoßend hässlich zu sein, ist eine psychische Erkrankung, die wesentlich häufiger auftritt, als man bisher in Fachkreisen und in der Öffentlichkeit angenommen hat. Und zwar wird dies deutlich, seit es "für jedermann/jedefrau" möglich geworden ist, sich von Schönheitschirurgen Narben wegzaubern, krumme Nasen korrigieren, Falten glätten oder Brüste nach Belieben vergrößern oder verkleinern zu lassen. Denn viele KDS-Patienten hoffen, jetzt endlich ihre verhassten körperlichen Mängel loswerden zu können und "bevölkern" deshalb die Wartezimmer der plastischen Chirurgen, wo bei sorgfältiger Anamnese, also bei der Befragung nach den Gründen für ihren Wunsch, operiert zu werden, die verzerrte Körperwahrnehmung der Patienten offensichtlich werden dürfte. Ein Beispiel wäre der Fall, in dem eine Patientin den Chirurgen bittet, sie von ihrer hässlichen Knollennase zu befreien, während in Wirklichkeit ein niedliches Stupsnäschen ihr Gesicht ziert. Hier bleibt nur zu hoffen, dass die Betroffene den Weg in eine psychologische Therapie findet.

Bildnachweis

Alle Bilder: Pixabay.com

Autor seit 10 Jahren
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