ZDF und locker-frech: Das kann nicht gutgehen? Stimmt!

Deutschland und die Aufarbeitung der braunen Vergangenheit sowie der Umgang mit dem gegenwärtigen Faschismus hat was von Aufklärung durch die eigenen Eltern an sich: Je lockerer die Chose vor sich gehen soll, desto verkrampfter wird sie, was für beide Seiten unsäglich peinlich ist. Die Web-Serie "Familie Braun" schlägt exakt in diese Kerbe, wovon bereits die Selbstdarstellung des ZDF zeugt. Da heißt es auf der entsprechenden Info-Seite:

"Familie Braun" ist als Dramedy angelegt, geht frech und mit viel Humor mit dem Thema Rechtsradikalismus um und findet eine sehr eigenständige Tonalität zwischen leichtem Humor und ernsthaftem Drama."

Der erste Gedanke ist ja meist der Richtige, so auch hier: "Das kann nicht gutgehen!". Denn:

"Familie Braun" läuft in der Reihe "Willkommen in Deutschland".

Ausgerechnet dem Regierungspropaganda-Sender kann man aus Erfahrung kein "ernsthaftes" Drama mit "leichtem Humor" zutrauen. Für Österreicher lustig – vom ZDF bestimmt nicht beabsichtigt – ist höchstens dieser Satz (Fettformatierung durch den Autor):

"Sehen Sie direkt im Anschluss "Leroy".

So richtig locker und frech will Tante ZDF das Thema angehen, und da das Stammklientel schön langsam doch in die Seniorenheimjahre kommt, wendet man sich an ein jüngeres Publikum, das man, durchaus richtig, auf YouTube vermutet. Deshalb sind einige laut Beschreibung bekannte YouTuber in Gastrollen zu sehen. Mir war keiner davon bekannt, aber ich gucke auf Youtube auch bloß Katzenvideos und Clips, auf denen Zoe Saldanas geiler, brauner Arsch zu bewundern ist. Man verschone mich mit Empörung: Zoe Saldanas kaffeebraunes Popöchen hat mehr gegen Rassismus und für Völkerverständigung geleistet, als jede "freche" Dramedy-Serie wie "Familie Braun".

Plot device zuckersüßes Kindchen

Nun möchte ich nicht gleich den Stab über die guten Absichten brechen: Die Prämisse klingt verheißungsvoll und birgt tatsächlich Stoff für eine interessante, witzige Dramedy-Serie. Aber weia, die Ausführung! Auf all die Absurditäten und Unwahrscheinlichkeiten – eine perfekt deutsch sprechende Frau wird ohne ihr Kind abgeschoben? Und sie vertraut ihre Tochter ausgerechnet einem Typen an, der in einer Nazi-WG wohnt? Wo bleibt die Jugendwohlfahrt? Welcher Lehrer lädt sich selbst zum Abendessen ein? – soll hier nicht eingegangen werden. Sie spielen ohnehin eine untergeordnete Rolle in einer Serie, die nicht unbedingt auf Realismus getrimmt ist.

Das prinzipielle Problem schält sich bereits in der Anfangsszene heraus: Die sechsjährige Lara (Nomie Laine Tucker) ist das, was Amerikaner ein "plot device" nennen. Sie ist kein "echtes" Kind, sondern ein Mittel zum Zweck, nämlich jenem, den Nazismus als Schwachsinn zu entlarven. Anstatt zu heulen, weil ihre eigene Mutter sie verstößt, freut sich Lara, bei zwei ihr völlig Fremden einzuziehen. Vielleicht sollte man noch hinzufügen, dass die Kleine natürlich zuckersüß ist, niemals herumschreit, hysterische Anfälle bekommt, Dinge kaputtmacht oder unerträglich nervig sein kann, wie es bei Sechsjährigen nun mal vorkommt. Darum geht es aber auch gar nicht. Wichtig ist die Message: Guck mal, der Nazi hat plötzlich ein Negerkind an der Backe, wie lustig und rührend!

Mein netter Nazi-Papa

Ohne die achtteilige Mini-Serie spoilern zu wollen, kann man sich wohl denken, was im Laufe der, hüstel, "Handlung" geschieht. Karl May wurde zu Recht vorgeworfen, das Klischeebild vom edlen Indianer (man verzeihe mir kleinem Mongo diesen Ausdruck, aber ich bin damit aufgewachsen und pflege meine politischen Unkorrektheiten) zu zeichnen. Tatsächlich beschrieb May, der entgegen geläufiger Annahmen sehr wohl die USA bereist hat, einen Wilden Westen, wie er ihn sich vorstellte. Ganz ähnlich bei "Familie Braun": Hier beschreiben Leute typische Nazis, wie sie sich diese vorstellen. Folglich ist die Wohnung mit Nazi-Devotionalien zugepflastert, als Gutenacht-Lektüre gibt es "Mein Kampf" und wenn auf der Spielkonsole gezockt wird, dann natürlich ein martialisches Kriegsspiel. Ja, sicher, mag es geben, aber wie räumt man mit Klischees auf, indem man exakt diese Klischees bedient? Antwort: Gar nicht, weil – erraten! – auch die Klischees dem gutmenschlichen Zweck untergeordnet sind.

Im Übrigen nimmt man dem bekannten Schauspieler Edin Hasanovic den Nazi-Papa an keiner Stelle ab. Nicht auf Grund seiner Attraktivität, sondern seiner Passivität wegen. Nach kurzem Zögern erkennt er erstens die Vaterschaft an, schließt zweitens das Kind ins Herz und geht drittens auf Konfrontationskurs mit WG-Kumpan und Mit-Nazi (Vincent Krüger). Offenbar hatten die aus meiner Sicht vertrottelten Blumenkinder doch recht: Liiiiiiiebe löst alle Probleme! Und jeder Mensch ist gut! Insbesondere Thomas, dessen einzige "böse Tat" das Aufsprühen eines Hakenkreuzes darstellt. Meine Fresse: Das sollen schon gestandene Linke gemacht haben. Mutig ist anderes. Lustig auch. Die Ansätze sind ja erkennbar, doch die Umsetzung ist bis auf eine Ausnahme, bei der eine Hakenkreuzfahne zweckentfremdet wird, ebenso vorhersehbar wie moraltriefend.

Total mutig im Deutschland anno 2016: Ich bin gegen Nazis! (Bild: https://pixabay.com/)

Wie man Nazi-Schwachsinn entlarvt

Interessant wäre eine feinere Charakterisierung gewesen. Nun gilt als Entschuldigung, dass die jeweiligen Folgen sehr kurz sind, weshalb man nicht in die Tiefe gehen könne. Zurück bleibt aber nach jeder Folge der schale Nachgeschmack, dass die Episode einfach nur als Aufhänger einer bestimmten Message – "heute, liebe Kinder, lernen wir, warum Toleranz wichtig ist!" – dient. Doch warum wurden Thomas und Kai Nazis (schließlich kommt man nicht als Arschloch auf die Welt, sondern wird zu seinem solchen sozialisiert)? Wieso akzeptiert Thomas seine Rolle so rasch? Was sind die Auswirkungen auf sein Umfeld? Über allem schwebt die große Frage: Wenn schon die Figuren nicht ernstgenommen werden, warum sollte ich mich als Zuschauer ernstgenommen fühlen?

Wie man es richtig macht, haben andere bewiesen, nämlich mit erbarmungslosem Humor. Die Lächerlichkeit einer Person oder einer Ideologie deckt man am besten mit seiner/ihrer blanken Zurschaustellung auf. Mel Brooks‘ "Frühling für Hitler" und vor allem Charlie Chaplins "Der große Diktator" entlarven den Schwachsinn auf humoristische Weise, ohne den Zuschauer zu langweilen oder gar unablässig mit dem pädagogischem Zeigefinger herumzufuchteln.

Offenbar kann der Deutsche aber nicht anders, als eben jenen Zeigefinger wie ein Laserschwert zu schwingen. "Familie Braun" ist die konzentrierte Familienpackung "gegen Nazis!". Das ist natürlich ein edles Ansinnen, aber das sind Demos gegen Krieg, Sitzstreiks gegen Hunger in der Welt oder Festbankette gegen Armut auch. Meiner Ansicht nach schwingt sogar eine gewisse Verharmlosung bei dieser Dramedy mit, reduziert sie doch den Faschisten auf äußerliche Erkennungsmerkmale sowie intellektuelle Stumpfsinnigkeit. Das kommt bei den traurigen Gestalten, die ihren Schwachsinn hinausbrüllend auf den Straßen marschieren, schon hin, aber die wahre Gefahr geht vom beredten, sympathischen Faschisten aus, der eben nicht besoffen grölend sein Hakenkreuz-Tattoo präsentiert.

Fazit: Nett gemeint ist halt auch daneben. Noch netter wäre es freilich, wenn ihr, buchstäblich teure Öffis, euch zur Abwechslung mal tatsächlich ganz mutig den drängenden Fragen der Gegenwart stellen würdet. Aber das wäre einfach zu anstrengend, riskant und erforderte sowohl Gehirnschmalz, als auch Cojones. Da bleibt ihr dann doch lieber bei euren risikolosen Gutmenschen-Themen, was ich nachvollziehen kann: Wenn ich unabhängig vom Publikumszuspruch Milliarden in den Arsch geblasen bekäme, wäre mir die Qualität meiner Produkte auch herzlich egal. Apropos: Falls ihr ein paar Milliönchen erübrigen könnt, ich hätte ein spannendes Web-Format über Zoe Saldanas Arsch zu bieten! Meldet euch bei mir, okay?

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