Funktionen einer Sage

Für andere wiederum steht die soziale Funktion der Sage im Vordergrund, in welcher das Weltbild anschaulich und verständlich beschrieben wird und die auch Gesellschaftskritik zum Inhalt haben kann.

Beispiel: Warum wird der Drache von jemandem aus dem einfachen Volk besiegt, der dann die Prinzessin heiratet und sozialen Aufstieg erlebt?

Andere sehen die Hauptaufgabe der Sage darin, dem Leser/Hörer Einblick in andere Denkstrukturen zu ermöglichen und Verständnis für Zusammenhänge zu wecken, die für ihn aufgrund seiner eigenen gesellschaftlichen und sozialen Herkunft nicht nachvollziehbar sind.

Beispiel: Warum wird das Dankopfer in Form von Schmuckstücken dargebracht?

Manche stellen die Forderung auf, dass der Leser/Hörer aus einer Sage lernen soll und die Erkenntnisse daraus im eigenen Leben und auf eigene Probleme anwenden soll.

Beispiel: Viele Ritter versuchten, den Drachen mit Gewalt zu töten. Jedoch konnte nur derjenige, welcher seinen Verstand benutzte, das Ungeheuer überlisten und besiegen.

Sage in kommunikativen und gesellschaftlichen Prozessen

Das Erlebte (Memorat) und die Ausgestaltung und Ausschmückung (Fabulat) wirken bei der Sagenentstehung zusammen. Es liegt immer irgendein bestimmtes Erlebnis oder Ereignis zugrunde, was die Sage um etliches historischer und auch glaubwürdiger macht als beispielsweise ein Märchen.

Die Erlebnisgrundlage (Erinnerung an ein Ereignis) wird ausgeschmückt, um das zu Erzählende möglichst spannend und attraktiv zu machen. Allerdings besteht das Risiko, dass durch die erzählerische Ausgestaltung manchmal der Erlebniskern schwindet und die Sage mit dem individuellen Erlebnis nur noch indirekt zu tun hat.

Berichtenswertes

Die Sage entsteht hier ähnlich wie eben genannt (Memorat und Fabulat), allerdings liegt in diesem Fall etwas Außergewöhnliches oder Außerordentliches zugrunde, das für berichtenswert gehalten wird. Dieser Kern kann aus allen denkbaren Bereichen stammen, es kann um eigene Erlebnisse gehen, oder um unerklärliche Begebenheiten oder auch Naturphänomene.

Eine Sage über Erinnerungen oder über berichtenswerte Begebenheiten entsteht meist in einem Prozess über drei Stufen:

1. Stufe: Die Begebenheit ist dem Erzähler passiert.

2. Stufe: Die Begebenheit ist von einer Person mit personaler Bindung zum Erzähler erlebt worden.

3. Stufe: Es sind nur noch Verweise auf unverwechselbare Begleitumstände des Geschehens vorhanden, z.B. Ort, Zeit, o.ä.

Kommunikation

Der Situation zwischen Erzähler und Zuhörer kommt eine besondere Bedeutung bei der Sagenbildung zu, denn oft liegt der Entstehung einer Sage eine unterhaltsame Grundstimmung zugrunde. Bei zwanglosen, geselligen Zusammenkünften ergeben sich die Erzählstoffe zufällig. Die Unterhaltung mit Alltäglichkeiten an, es werden Anekdoten erzählt und es wird über abwesende Personen getratscht. Die an der Kommunikation beteiligten Personen regen sich gegenseitig zum Erzählen an, korrigieren und ergänzen sich.

Aus einer solchen Situation kann eine Sage entstehen, wachsen und ausreifen. Ungläubige Einwürfe und Zweifel werden ausgeräumt, in der Gemeinschaft glaubt man mehr als als Einzelner. Daraus entsteht eine kollektive Bewusstseinshaltung, welche dann tradiert wird.

Gegenstand der Sage

Eine Sage kann unterschiedliche Begebenheiten zur Grundlage haben, zum Beispiel eine Begegnung zwischen einem Menschen und einem mythischen Wesen:

Auch die dämonologisch bestimmte Sage hat ein außerordentliches Erlebnis zum Inhalt. Ein unerklärlicher Vorgang wird als übernatürlich empfunden, weil keine anderen Erklärungen dafür existieren bzw. gefunden werden. Es herrscht oft Unwissenheit über naturhafte oder gesellschaftliche Zusammenhänge.

Die Bedingung für übernatürliche Erklärungsansätze ist ein transzendent-teleologisches Weltbild, d.h. der Glaube an eine materielle und an eine immaterielle Welt. Die immaterielle Welt ist nicht unbedingt sichtbar, kann nach diesem Verständnis aber ins Dasein eingreifen.

Die dämonologische Sage soll ebenso unterhalten wie andere Sagen auch, das Interesse am Unheimlichen und die Lust am Schauer sind beim Publikum groß. Andererseits soll sie aber auch der Orientierung dienen, was erlaubt ist und was nicht, der Dämon fungiert dabei als Ordnungsfaktor.

Die Botschaft, welche in den Sagen steckt, wird gerne vom Zuhörer aufgenommen und auf seine persönliche Situation umgelegt, da sie alle sozialen Schichten betrifft (also auch die eigene) und er sich deshalb leicht mit der beschriebenen Situation identifizieren kann.

Die Erfahrungen sollen auch für andere Personen nutzbar gemacht werden, die ein solches Erlebnis nicht hatten. Sie erhalten damit Handlungsanweisungen zum Umgang mit einem als übernatürlich empfundenen Erlebnis. Denn die Macht des Unheimlichen ist zu Ende, wenn sich der Mensch richtig verhält.

Die Umwelt als Sagengegenstand

Ein Teil der materiellen Umwelt wird als existenzbedrohend (Naturkatastrophen) oder als außerordentlich (seltsam geformte Felsen) empfunden. Diese Teile sind Gegenstand der Entstehungssagen und werden oft auf übernatürliche Kräfte oder Wesenzurückgeführt. Vergangene Informationen werden für die Gegenwart nutzbar gemacht. Das Außerordentliche muss sich nicht zwingend nur auf Naturphänomene beschränken, sondern kann auch von Menschen handeln, der sich ganz anders verhielt als sein Umfeld.

Die Sage und ihr Erzähler

Die Sage geht von Erlebnisgrundlagen aus, die realen Vorgängen oder Verhältnissen entsprechen. Die Texte bieten Informationen über Erlebnisse, Eindrücke oder Gegebenheiten. Der breiten Masse soll so das Wissen auf unterhaltsame Art zugänglich gemacht werden. Das Publikum ist bereit, die Informationen aufzunehmen, für glaubhaft zu halten und sie auf die eigene Situation zu übertragen, d.h. daraus zu lernen.

Um die Informationen aufzunehmen und für glaubwürdig zu halten, muss der Adressat dazu motiviert werden. Das ist die Aufgabe des Erzählers. Er ist dort der Lehrer, wo es den gebildeten Lehrer im heutigen Sinne nicht gibt oder wo dessen Kompetenz nicht anerkannt ist. Er vermittelt Volksweisheit und Volksbildung. Er konkretisiert den Volksglauben durch praktische Unterweisung ohne Abstraktion und präsentiert Fakten und Interpretationsteile spannungsvoll und interessant. Es ist ihm weiterhin möglich, gleiche Sachverhalte in unterschiedlichen Sagen auf unterschiedliche Weise darzustellen, je nachdem, auf welche Art die fiktionalen Bestandteile vom jeweiligen Publikum ausgelegt werden sollen. Allerdings haben Sagen niemals eine so dominierende Rolle innegehabt wie das Volksmärchen.

Sonja, am 01.02.2014
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