Der Dichterphilologe Erben (1811-1870) nimmt etwa die Stellung der Gebrüder Grimm aus dem Deutschen als Märchensammler ein. Ab 1834 sammelte er Volkslieder. Die tschechische Ballade mit folkloristischen Inhalten waren bei Kindern sehr beliebt und sie brachten auch eine nationale Botschaft zum Ausdruck. Ab den 30er Jahren sammelte er Märchen, die er bereits volkskundlich in verschiedenen Varianten verglich.

Das Interesse der Schriftstellerin Nemcova (1820-1862) für volkskundliche Inhalte spiegeln sich in ihren Werken, v.a. in Babicka wieder. Ihre Werke enthalten viele Elemente es Volksaberglaubens. Sie stellt eine Gegenposition zu Erben in der Märchendichtung dar: Er zeichnete getreulich alle gehörten Texte philologisch auf, sie verwertete das Material und ordnete es eigenen künstlerischen Intentionen unter. Sie belletrisiert volkskundliche Skizzen, sie vermischt Elemente aus Märchen verschiedenster Traditionen.

Das tschechische Märchen von 1790 bis 1860

Tille und Polivka gelten als Vertreter der finnischen Schule. Volksdichtung kann der Erkennung des Volksgeistes dienen und deshalb zeichneten sie Volkserzählungen korrekt und unzensiert auf. Sie stellten enttäuscht fest, dass Volksüberlieferung Nebensache war und Märchen mehr volksaufklärerische, nationale und ästhetische Ziele hatten. Sie sehen die literarische Aufmachung als Störfaktor.

Für Vodicka muss diese literarische Aufmachung Gegenstand der literaturwissenschaftlichen Betrachtung sein. Er untersucht die Eingliederung des Märchens (v.a. Erben und Nemcova) in die Literatur. Er analysiert dabei nicht die Werke, sondern will die Grundzüge des Belletrisierungsverfahrens darstellen und allgemeine Entwicklungstendenzen aufzeigen. Das Märchen wurde als Bestandteil der Volksdichtung erkannt und als solcher in die Literatur aufgenommen.

Für das Märchen im literarischen Kontext gelten andere Bestimmungen als für das folkloristische, mündlich übertragene. Hier gibt es stilistische Tendenzen, Gattungsgefüge. Das literarische Märchen entsteht durch Transformation von vorgegebenen Volksmärchen bzw. deren Motiven. Man erkannte in der Volksdichtung einen literarischen Wert und konnte gleichzeitig der Neigung nachgehen, sich an vorgefertigte Schemata anzulehnen. In der Terminologie sind die Begriffe pohádka und báchorka gebräuchlich. Pohádka bezeichnete im Alttschechischen ein Rätsel, ein Gespräch, eine Kontroverse. Báchorka bedeutet ursprünglich etwas Erdachtes, ein Hirngespinst.

Das Märchen im aufklärerischen Klassizismus des 18. Jahrhunderts

Zu dieser Zeit gab es noch kein Gattungsbewusstsein für Märchen. Erst während der nationalen Wiedergeburt Ende des 18. Jahrhunderts konstituierte sich die Literatur neu. Im den Barock ablösenden Klassizismus war für das Märchen als Gattung in der gehobenen Literatur kein Platz, aber es fand seinen Platz in den unteren Rängen und konnte sich dort auch entwickeln. Die unteren Ränge dienten der Volksaufklärung und der Erhaltung der tschechischen Sprache. Märchen sollten die Funktion der alten Volksbücher übernehmen.

Gattungsspezifische Merkmale des Märchens entstanden erst ab 1800. Themen und Motive wurden aus anderen Gattungen, z.B. dem Bänkellied entlehnt. Die erste Sammlung deutschsprachiger böhmischer Märchen von Gerle erschien 1819 in Prag.

Der Klassiker unter den tschechischen Märchen als Kinderbuch, Roman und Film
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Nationalisierung der Volksdichtung in der Literatur der 20er und 30er Jahre

Die Volksdichtung wurde in den Kanon der Literatur aufgenommen, das bedeutete bessere Bedingungen für die Entwicklung des Märchens. Der Nationalbegriff festigte sich, Quellen des Volksgeistes war die Volksdichtung und das Slawentum. Herausragende Stellung kam dem Märchen noch nicht zu, es war ein Gebilde mündlicher Wortkunst, fern jeglicher Realität, es war profan, unpathetisch und oft mit scherzhaftem Charakter.

Man begann, eine künstlerische Idealgestalt des Märchens zu konstruieren mit Idylle und Natürlichkeit, wodurch es in die oberen Ränge der Literatur aufsteigen konnte und die Nähe zum Volksbuch verlieren konnte. Auf ein wachsendes Interesse am Märchen in den 30er Jahren weisen die zahlreichen Übersetzungen hin.

Festigung des Märchens gegen Ende der 30er Jahre

Gegen Ende der 30er Jahre kam die Forderung nach Verständlichkeit und Unterhaltsamkeit auf. Man erwartete eine Neubewertung des Märchens. Es sollte belletrisiert werden, denn Verserzählung war nicht mehr geeignet. Einerseits suchte man mit einfachem und volkstümlichem Stil, die Verständlichkeit zu gewährleisten, andererseits barg das aber auch die Gefahr eines erneuten Absinkens des Märchens in eine niedrigere Literaturstufe.

Position des Märchens in den 40er Jahren

In den 40er Jahren lag der Höhepunkt des tschechischen Märchens. Es hatte einen hohen Entwicklungswert auch in Bezug auf das Ausmaß und die Dauer der Rezeption. Erstarrte Schemata wurden aufgelockert, man erkannte und nutzte die vielseitige Kombinationsmöglichkeit seiner Elemente. Das Märchen wurde immer populärer, während die Sage an Bedeutung verlor.

Sonja, am 25.01.2014
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