"Mai Ganga" Mutter Ganges

Es gibt viele Möglichkeiten, nachzuweisen, dass Indien anders ist als alle anderen Länder Asiens. Aber es ist kein Rätsel, dieses ließe sich vielleicht lösen. Indien hingegen ist nicht völlig zu durchleuchten, ist von niemanden zu dechiffrieren. Indien ist so einzigartig vor allem, weil es den Hinduismus gibt, diese Religion der Mythologie und Verinnerlichung,in der die menschliche Existenz selbst zum Ritus wird. Zwischen dem Heiligen und dem Profanen gibt es keine scharfe Trennungslinie.

Der Hindu ist bis in die tiefste Innere von der Erfahrung durchdrungen, dass Mensch und Welt wesenhaft eins sind. Er sieht Eigenschaften in den Dingen, über die der heutige westliche Mensch sich noch nie Gedanken gemacht hat. Für die Röte der Rose gibt es ebenso ein spezielles Wort wie für das Kuhsein der Kühe. So ist auch der große Strom, den wir Ganges nennen, für den Hindu nicht einfach "der Ganges". Er ist vielmehr eine Vergöttlichung von strömenden Wasser, die mehr als hundert Namen wie "Der die Furcht hinweg schwemmt", "So weiß wie Milch" oder auch "Mai Ganga", Mutter Ganges. Der göttliche Strom ist Großbadeanstalt, Tempel und Friedhof zugleich. Nichts Vollkomenderes ist für den Gläubigen vorstellbar, als nach einem sündenabstreifenden Bad im Ganges zu sterben. Denn am Wasser hängt, zum Wasser drängt einfach alles im Leben eines Hindu. Es begleitet sein Leben bis über den Tod hinaus. Die Asche der Toten wird, wenn es sich irgend machen lässt, dem heiligen Fluss übergeben. Mit dem Wasser wird sie zum Ozean geführt, mit dem Wasser von der Sonne aufgenommen. Mit dem Regen fällt sie nieder in den Bergen des Himalaja, um dort wieder die Quelle des Ganges zu speisen. Vielleicht kann an den Hinduismus als eine Religion der Entsagung kennzeichnen. Viele seiner Elemente scheinen nur für Menschen geschaffen zu sein, die sich in sich zurückgezogen haben. Die Indische Lethargie und die Neigung, das weltliche Treiben für gering zu achten, könnten dies zum Grund haben. der Hindu ist, auch wenn er einer Gruppe angehört, allein für sein Heil verantwortlich. Er weis es - und er richtet sich auch danach.

 

Wer die Quelle trinkt und dann den "Strom der Götter" bis zum Mündungsdelta zu Fuß begleitet, kann sich die Qual mehrerer Wiedergeburten ersparen. Vom Beginn des Hinduismus bis in unsere Zeit hat es wohl noch nie ein Jahr gegeben, in dem nicht weise Männer auf dem 2700-Kilometer-Marsch gewesen wären. Mahatma Gandhi, der Prophet der Gewaltlosigkeit, Künder einer Lehre der Vollkommenheit, ist davon Überzeugt, dass alle Mühsal schließlich übergeht in Glückseligkeit.

Autor seit 10 Jahren
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