Renate Arnaud erzählt:

Seit nunmehr 98 Jahren gehört das Eckhaus mit der Drogerie und dem Kolonialwaren- und Gemischtwarenhandel zum Stadtbild von Sigmaringen. 1908 übernahm Robert Arnaud vom Vorbesitzer Holderried das Geschäft, das verraten alte Zeitungsausschnitte.

Gleich um die Ecke bildete das "grüne Meer" seit alters her eine algenbewachsene grüne Pfütze. 1933 wurde das Eckhaus dann von Robert und Amelie Arnaud, geborene Diringer, im Bauhausstil umgebaut. Weit und breit gab es erst wieder in Taifingen ein ähnliches Haus.

Renate Arnaud kann sich im Nachhinein gut daran erinnern schon als kleines Mädchen im Geschäft "gearbeitet" zu haben. Manches Mal habe sie im Handwagen die Ware ausgetragen. "Daran können sich gewiss noch viele Sigmaringer erinnern", erklärt sie lachend. Sie habe es den Eltern nachgemacht. Es habe sich für sie nie die Frage gestellt, was sie einmal werden wolle. So wie ihre Oma, die Mutter und die Tanten, habe sie dann auch in ihrer Lehrzeit im elterlichen Betrieb: "Was darf es sein?" gefragt, habe die Ware aus dem Regal geholt und an den Kunden weitergereicht. Damals lief der Verkauf noch persönlich und eine Verkaufssteigerung durch Erkennen der Kaufmotive war selbstverständlich und nicht angelernt.

Als Renate noch ein Kind war, wurde vom Vater und Großvater noch Kaffee selbst geröstet und verkauft und Süßrahmbutter geschlagen. Zum Geschäft gehörten auch ein Fotogeschäft mit mehreren Angestellten, ein Labor und eine Dunkelkammer. Zu dieser Zeit kosteten drei Tafeln Schokolade 50 Pfennig. Das alles belegt die mit Kopierstift geschriebene Ladenstrazze, das dicke, alte Kassenbuch. Leider kann es nicht reden, denn dann könnte es unter anderem auch verraten, wo denn die Deutsche Botschaft, deren Angestellte ihre Einkäufe bei Arnaud tätigten, ihren Sitz hatte. In den letzten Jahren verringerten sich die noch bis in den späteren 60er Jahren angesiedelten anderen Einzelhandelsgeschäfte. Damals brauchte man schon zwei Hände, um alleine die Lebensmittelgeschäfte der Stadt aufzuzählen, so Renate Arnaud. Sie, die in den letzten Jahren nach dem Tod ihrer Tante den Laden selbstständig führte, zieht sich jetzt ins Privatleben zurück. Trotz der Vorfreude auf den wohlverdienten Ruhestand fällt ihr der Abschied, auch von den liebgewordenen Kunden, nicht leicht. Es ist ihr ein Herzensbedürfnis, ihnen für ihre langjährige Treue zu danken. Renate Arnaud wünscht ihnen genauso viel Spaß am Leben, wie sie es selber in der nächsten Zeit haben wird.

Lebendige, Sigmaringer Geschichte

Mit dem Sichten und Ordnen der vielen altertümlichen Unterlagen wird Frau Arnaud noch lange zu tun haben. Immer wieder wird davon die Rede sein, dass Robert Arnaud als Handlungsreisender für "Kathreiners Malzkaffe", einer der ersten Autobesitzer in Sigmaringen war. Es wird Kunden geben, die sich auch an die Kriegsereignisse erinnern, bei denen der einzige, bei der Geburt mit Böllerschüssen begrüßte Sohn und Bruder, der wie sein Vater Robert genannt wurde, mit anderen auf dem Sigmaringer Leopoldplatz erschossen wurde. Ein großes Kapitel der Stadtgeschichte findet mit der Aufgabe der Stadtdrogerie Arnaud, nach 98 Jahren, ihren Abschluss.

Ergänzungen: 2012: In der Zwischenzeit wurde das Haus abgerissen. Auf dem Grundstück entstand 2006 ein Wohn- und Geschäftshaus. In ihm wurden, auf Wunsch von Frau Arnaud, Wohngruppen der Marienberger Heime, einer Gammertinger Einrichtung für behinderte Menschen, eingerichtet.Im Sommer 2016 feierten Bewohner, Angehörige, aktuelle und ehemalige Mitarbeitende das zehnjährige Jubiläum des von der diakonischen Einrichtung Mariaberg betriebene Haus Arnaud. Zurzeit leben dort 23 Menschen mit ganz unterschiedlichen Beeinträchtigungen, inmitten der Gemeinde.

Im Jahr 2020 hatte Renate Arnaud ihren 80.Geburtstag.

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