GOЯKI Theater Berlin: Kritik von "Erotic Crisis" – Yael Ronen
Uraufführung. Die Regisseurin erkundet die erotische Erlebniswelt. Aus einer anfänglichen leichten Komödie erwachsen konfliktbeladene Beziehungen mit tragischen Elementen.Mareike Beykirch, Thomas Wodianka (Bild: © Esra Rotthoff)
Sexuelle Gruppenoffenbarungen
Die mit einem Dutt auftretende Mareike Beykirch zelebriert kurz die Polygamie und verkündet, dass ein harmloses Baby der Auslöser der Zerstörung einer Beziehung sein kann. Die kapriziös verbrämten Schauspieler präsentieren ihre Körper, erzählen von ihren Bedürfnissen und kokettieren mit ihren triumphalen, unverwüstlichen Betteskapaden. So geht das eine Weile weiter, samt der Sucht nach derb-witzigen Einfällen und dem notorischen Begrapschen der eigenen Genitalien, und der Kritiker beginnt stumm in sich hineinzustöhnen. Flankiert von zwei Frauen Mitte fünfzig, hört er ein gackerndes Gelächter, das schnell abreißt und auf die nächste Gelegenheit wartet. Rafael (Aleksandar Radenković) holt einen Zettel mit seinen Hardcore-Phantasien hervor und möchte sie vor der erwartungsvollen Gruppe ausbreiten, wird aber durch nerviges Gerede aus dem Konzept gebracht und bricht schließlich beleidigt ab. Als Kumari (Anastasia Gubareva) hinter seine mühsam aufgebaute Fassade blicken will und ihren Partner Rafael zu einer ehrlichen sexuellen Offenbarung auffordert, wähnt er sich in einer ihn entblößenden Gruppentherapie – und die Gruppe löst sich auf. Was ein Segen ist. Nur wenn Rafael von der Außenwelt isoliert ist, gibt er etwas von der Sehnsucht nach hemmungslosen orgiastischen Auswüchsen preis.
Die Hölle, das sind die anderen
Nunmehr sind die Paare mit sich allein, der seriösere Teil des Abends setzt ein und das Bett, teilweise umgeben von Glaswänden, wird zum optischen Mittelpunkt erhoben. Zunächst tauschen sich Maya (Orit Nahmias) und ihr Partner Jan (Thomas Wodianka) per SMS aus, eine andere Möglichkeit der Kommunikation ist nicht möglich. Sie klagt über ausbleibenden Sex und wundert sich über seinen Erschöpfungszustand und seine Defizite – onaniert er etwa heimlich oder während der Arbeit? Jan reagiert mit Ausflüchten: Aus der geplanten finalen Aussprache wird ein erhitztes Aneinandervorbeireden. Emotionale und sexuelle Überforderung, männliches Versagen und Unwilligkeit sind die unauflöslichen Reibungspunkte. Erloschen sind der einst glühende Blick, die pflichtgemäße, aber prickelnd-leidenschaftliche Dauererfüllung. Hier präsentiert sich ein Mann, der dem Druck in der sexuellen Leistungsgesellschaft nicht mehr gewachsen ist. Bei Jan und Kumari gibt es ähnliche Komplikationen, nur dass weibliche Orgasmusprobleme vorherrschen und er sie bearbeitet wie eine Waschmaschine, als gelte es einen Preis zu gewinnen. Abnutzung pur, von anvisierten multiplen Genüssen keine Spur. Trotzdem der Gedanke: "Die Hölle, das sind die anderen".
Gedankenblitze münden in Resignation
Zwar hat nach der langatmigen, mit Banalitäten gesättigten Ouvertüre die Inszenierung an Fahrt und Ernsthaftigkeit zugelegt, aber die inspirierenden Augenblicke sind zu selten. Selbst bei den Streitereien setzt Rael Yonen auf Schlagfertigkeit, Gedankenblitze und Lacher. Das Schielen nach dem Publikum ist zu offensichtlich. Erst als Radenković' Rafael, fernab von virilen Protzereien, in tiefe Resignation versinkt, kann sich beim Zuschauer Empathie einstellen, sogar ein Gefühl von unterschwelligem Mitleid und heimlicher Komplizenschaft, ist man doch selbst keine Wundernatur. Mareike Beykirch, der personifizierte Haarknoten, streng und souverän zugleich, spielt eine Computerhackerin, die sich in ihrer selbstgewählten Einsamkeit ausgerechnet brennend für fremde Erotikkontakte interessiert. Sie, gänzlich ohne Zartgefühl, soll der Inszenierung mehr Feuer verleihen und mischt sich in das andere Paar – es ist mehr als ein Strohfeuer, aber es fackelt lediglich auf halber Flamme. Immerhin, das nicht mehr Miteinanderkönnen ist recht glaubwürdig und konfliktbewusst dargestellt. Eine weitere Ausdehnung der gelungenen Partien würde aber das Ganze zerdehnen und den Bogen über Gebühr überspannen. Dank des zweiten Teils ist die Inszenierung noch akzeptabel, doch wohl niemand im Saal befindet sich beim Schlussapplaus in sexueller Stimmung.
Erotic Crisis
von Yael Ronen & Ensemble
Regie: Yael Ronen, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Amit Epstein, Musik: Nils Ostendorf, Licht: Jens Krüger, Dramaturgie: Irina Szodruch.
Mit: Mareike Beykirch, Thomas Wodianka, Aleksandar Radenković, Anastasia Gubareva, Orit Nahmias.
Uraufführung vom 13. September 2014
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)