Plakat der Inszenierung

Plakat der Inszenierung (Bild: © Esra Rotthoff)

Atavismus aus der Wikingerzeit

Auf der Bühne steht ein demolierter Mercedes mit dem Autokennzeichen B-RD, sonst nichts. Die Bundesrepublik existiert erst seit dem 23.5.1949 und es hat den Anschein, als wolle Nübling all das Ur-Germanische, das noch im heutigen Deutschland steckt, einer en passant unternommenen Prüfung unterziehen. Das großformatige Programmblatt kündet vom Siegeszug des VW-Käfers, der, genauso wie die Vehikel von Daimler Benz, in den Produktionswerkstätten des 3. Reichs entwickelt und mit Hilfe von KZ-Häftlingen serienweise hergestellt wurde. Was soll dieser Verweis? Vielleicht, dass in jedem Wagen ein Hauch des schaffenden Nibelungengeistes waltet? Die Inszenierung beginnt etwas wild und ungeordnet und man hat Mühe, das Bühnegewoge zu entflechten und das Personal zu sortieren. Nach einer gewissen Anlaufphase ist man endlich "drin", im hochgepuschten Trubel angekommen, ohne allerdings eine emotionale Bindung zum Geschehen zu finden. Brunhild, ausgerechnet von Till Wonka gespielt, ist eine kraftvolle, wuchtbrummige, ja derbe Walküre, der das geringste Zartgefühl abgeht und die mitunter wie eine tumbe Bäuerin daherkommt. Neben diesem Atavismus aus der Wikingerzeit agiert die feingliedrige, schmächtige Kriemhild (Sesede Terziyan), deren delikate Noblesse ausreicht, um Taner Şahintürks Siegfried in eine zügellose Brunststimmung zu versetzen.

 

Club-Gewaber und mafiaartig organisierte Nibelungen

Von Siegfrieds Kribbeln kommt wenig rüber, er wirkt wie aus dem Gefrierkasten entsprungen und bemächtigt sich im Auftrag des lendenschwachen Gunthers der monströsen Brunhild, der er im immobilen Auto eine knallharte Überrumpelungsdefloration verpasst. Und betrogen fühlt sich Kriemhild, geprellt und gedemütigt. Sie schreit sich in Rage, ihre langen Haare fallen ihr ins zuvor entflammte Gesicht, während sie nach Rache dürstet – eine der wenigen authentischen Szenen des Abends. Ansonsten viel Club-Gewaber, Gedröhn und die mafiaartig organisierten Nibelungen, die ihren Hof und dessen Gebote gegen etwaige Eindringlinge abgrenzen. Hof? Nübling wäre es angesichts seiner aktuellen Neuzeitverrenkungen zuzutrauen gewesen, dass er die Adelsfamilie mitsamt dem höfischen Gefolge in einer hochgeschossigen Neubausiedlung verortet. Aber er lässt es bei schriller, partyaffiner Kleidung bewenden, die als sein Beitrag zum großstädtischen Individual-Outfit gelten kann. Als auswärtige Fremdkörper fungieren die Heunen (Hunnen), zunächst noch als geschulte First-Class-Diener im Hintergrund wirkend. Später, nach der Pause erklimmen die Personen um König Etzel (Nora Abdel-Maksoud) eine Art Machtposition und bilden ein bedrohliches Gegengewicht. Aus den Deklassierten erwächst ein neuer Kontroll- und Autoritätsfaktor. Nübling und sein Team haben sich hier sichtlich um eine eindrucksvolle Choreografie bemüht.

 

Ein ruhmvoller Untergang

Hagen (Dimitrij Schaad), der unverwüstliche Sachwalter der Rache, steckt in einer schwarzen Glitzerjacke, verzichtet aber auf ein griesgrämiges Rachegesicht. Unschuldig wirkt sein Antlitz, selbst wenn er intrigiert oder eine zackige Eliminierung durchführt. Das Bild ändert sich spätestens ab dem kampflüsternen Schlussmonolog, der einen Widerstandsverfechter zeigt, unbeugsam und mit bockiger Eindringlichkeit. Da es sich um ein typisches deutsches Stück handelt, muss natürlich das für unverrückbar geltende Deutschtum im Vordergrund stehen. Ein ruhmvoller Untergang schwebt ihm vor, ein Mythos für die Nachwelt. Spätere Geschlechter sollen sich der heroischen Taten erinnern – hier ist der Brückenschlag zum Selbstverständnis der NS-Würdenträger nur ein kleiner. Auch bringt Hagen die Parole "Jedem das Seine" ins Spiel – ein alter philosophischer Moralbegriff, der allerdings den Eingang des KZs in Buchenwald "verbrämte". Der Einzelkämpfer gerät ins heldenhafte Faseln, kommt von deutschen Fußballwundern auf die exorbitante Wirtschaftskraft zu sprechen. Nein, dieses Volk ist nicht zu brechen. Anstelle des ausgelassenen Blutbads ist das offensichtlich Nüblings kritische Auseinandersetzung mit dem übermütigen Deutschtum. Ein kleiner Versuch zumindest. Insgesamt ist das eine verschenkte Inszenierung mit wenigen Lichtblicken.

Der Untergang der Nibelungen – The Beauty of Revenge
nach Friedrich Hebbel
Regie: Sebastian Nübling, Bühne & Kostüme: Eva-Maria Bauer, Musik: Lars Wittershagen, Licht: Jan Langebartels, Dramaturgie: Jens Hillje.
Mit: Nora Abdel-Maksoud, Sesede Terziyan, Dimitrij Schaad, Taner Şahintürk, Cynthia Micas, Tim Porath, Mehmet Ateşçi, Aram Tarefeshian, Falilou Seck, Till Wonka, Kinderrollen: Sarah Böcker, Benita Hacke, Fée Mühlemann, Annika Weitzendorf.

Gorki Theater Berlin

Premiere vom 23. Oktober 2014

Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause


 

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