Blutig wir es für die Männer

Foto: Esra Rothoff

 

Die Zwänge der Gesellschaft

Schwere seelische Konflikte im Reich der Adligen. Lewin, eine sympathische Figur in Tolstois Werk, geht in dieser Inszenierung leider total unter, Jonas Dassler findet seinen Weg nicht in die Rolle. Die herkömmlichen Standesunterschiede akzeptierend, glaubt Lewin dennoch an einen Aufstieg der Bauernklasse, er arbeitet, so will es Tolstoi, auf dem Feld mit ihnen und läuft dabei Gefahr, dass man den Respekt vor ihm verliert. Unter den Händen von Oliver Frljić wird Lewin zu einem zitierenden Abziehbild fürs Album, zumal der sozial eingestellte Großgrundbesitzer doch noch seine Kitty (Hanh Mai Thi Tran) kriegt, auf dass sie miteinander verschmelzen. Anders verhält es sich bei dem Bühnenbild (Igor Pauška), da hat man ein bisschen nachgedacht und Gleise installiert, denn, wie wir wissen, hat Anna (Lea Draeger) Wronski am Bahnhof kennengelernt und sie wirft sich nach den Scheitern des Liebesglücks vor den Zug. Was einigermaßen gut rüberkommt, sind die gesellschaftlichen Zwänge, denen die Oberschicht ausgesetzt ist. Großer Mann kann auch nicht, wie er will. Die Unterschicht lebt anscheinend gesetzlos, abzüglich der Gesetze von oben. Der verarmte Makar (Emre Aksızoğlu) hat eine Gefühlsvermischung mit Warwara (Anastasia Gubareva) anvisiert, doch die will sich sicherheitshalber hochschlafen, um der sozialen Misere zu entrinnen. Das ist keine sozialrevolutionäre Aktion, eher ein – halbwegs verständliches, monetär diktiertes - Armutszeugnis. Anders Frljić: Er macht aus Warwara eine Sozialrevolutionärin, die alle gesellschaftlichen Unterschiede hinwegschaffen möchte, sozialistischen Pomp und Blasmusik muss man sich hinzudenken.

 

Der Versuch, alles umzudrehen

Alles umstürzen, das ist das hehre Ziel der auf Gleicheit bedachten Warwara. Das kann man bringen, leider hat sich der Regisseur bei seinem kühnen Unterfangen die falschen Romane ausgesucht. Die Liebesangelegenheiten interessieren ihn überhaupt nicht, er hält es lieber mit der Politik. Zu Beginn blickt das Publikum auf aufgehängte Zarenbilder, später kommt Lenin und dann auch Putin, der von der entfesselten Warwara zerrissen wird. Offensichtlich sind an den Machtverhältnissen nur die Männer schuld. Oliver Frljić macht aus der sozialen Revolution eine feministische, Warwara fordert die adligen (!) Frauen auf, die Männer zu erschießen, was sie dann auch tun. Wir beobachten Abak Safaei Rad, Lea Draeger und Hanh Mai Thi Tran, die alle in teuren Kleidern stecken, beim Exekutieren der Männer. Ein Triumph der Weiblichkeit, es ist, als habe Frljić viel feministische Literatur gelesen, wo vom (bösen) weißen Mann die Rede ist, ungeachtet der Tatsache, dass es auch gänzlich friedliche weiße Männer gibt und solche Schreckensgestalten wie Katharina die Große, die selbst die Leibeigenschaft forcierte. Inhaltlich ist das Werk zu schwach, die Leistungen der Schauspieler*innen hängen in der Mediokrität, nur Lea Draeger ragt etwas heraus.

 

Anna Karenina oder Arme Leute
nach Lew Tolstoi und Fjodor Dostojewski

Fassung von Oliver Frljić und Ludwig Haugk
Regie: Oliver Frljić, Bühne: Igor Pauška, Kostüme: Sandra Dekanić, Livemusik: Daniel Regenberg, Dramaturgie: Johannes Kirsten.
Mit: Lea Draeger, Falilou Seck, Emre Aksızoğlu, Jonas Dassler, Hanh Mai Thi Tran, Mehmet Yılmaz, Anastasia Gubareva, Abak Safaei-Rad, Taner Şahintürk, Till Wonka.
Gorki Theater Berlin, Premiere war am 15. September 2019
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

 

 

 

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