Da wo es schön ist

© Esra Rotthoff

 

Vom Engagement im Klassenkampf in die Depression

Oberstes Gebot ist das Weglassen von theoretischen Statements, Sozialismuskonzepten und kraftvollen Zukunftsplänen. Hier ist das Volk, das aufspielt! Einige Schauspielerinnen (es ist nur ein Mann dabei) hatten abenteuerliche Lebensbahnen zu durchstehen. Das ist etwa die Jüdin Salomea Genin, die aus dem 3. Reich nach Australien flüchtete, um dann, offensichtlich entzückt von der frisch errichteten Berliner Mauer, bei der Stasi anzuheuern. Ihr Arrangement mit der Staatsmacht, ihr Engagement für den Klassenkampf münden in einer von Melancholie geprägten Sinnkrise. Ganz anders die Vietnamesin Mai-Phuong Kollath, die in der DDR einen befristeten Arbeitsvertrag annimmt und die Härten des Kontraktes und des Alltags zu spüren bekommt. Was sie überhaupt nicht ertragen konnte und als beleidigend empfand, war der Ausdruck ‚Fidschi'. Immerhin, für den Kritiker trägt das zur Aufklärung bei. Hatte doch vor einiger Zeit eine gestandene Ex-DDR-Frau ihm verkündet, dass der ominöse Ausdruck keinesfalls abwertend gewesen sei. Jedenfalls aus ostdeutscher Sicht.- Derweilen bewegt sich ein 8-jähriges Mädchen auf der Bühne, für die das sich langsam entrollende Leben eine einzige große Bühne ist, ganz ohne Kommunismusgequatsche.

 

Das Blättern im Mauer-Zettel

Alle Bühnenteilnehmer sind Amateure, abgesehen von Ruth Reinecke, die, man sieht es sogleich, nicht zum ersten Mal auf der Bühne steht. Seit 1979 ist die wegen ihrer langen Verweildauer Unkündbare am Gorki Theater engagiert. Wer das – seit der Intendantin Langhoff neu aufgestellte – Haus kennt, weiß, dass es ohne mindestens einen halbexzentrischen queer-Aktivisten kaum geht. Tucké Royale spielt solch einen mit jugendlichem Verve und verhaltenem Feuer, einen, der sich unter den vielen, erotisch unkompatiblen "Schwestern" nicht ganz leicht tut. Ruhig sitzt er an einem Tisch und legt den leicht durcheinandergeratenen Ausreise-Schabowski hin, der noch mal auf seinen geheimnisvollen Zettel blickt: "Das ist nach meiner Kenntnis...ist das sofort, unverzüglich." Die Zuschauer erleben Schicksale im Kommunismus, erfahren aber nichts vom Kommunismus. Erfahren bestenfalls den teilweise desaströsen Umgang einer Staatsmacht mit einem System, in dem von oben über das Wohl und Wehe der Zeitgenossen entschieden wurde. Es ist ein anekdotischer Abend ohne größere Erkenntnisse, verbrämt mit Girlanden und Dornen, aber kein schlechter.

Atlas des Kommunismus
von Lola Arias und Ensemble
Regie: Lola Arias, Bühnenbild: Jo Schramm, Kostüme: Karoline Bierner, Musik: Jens Friebe, Video: Mikko Gaestel, Dramaturgie: Aljoscha Begrich.

Mit: Ruth Reinecke, Matilda Florczyk, Tucké Royale, Salomea Genin, Mai-Phuong Kollath,, Jana Schlosser, Monika Zimmering, Helena Simon.

Livemusik: Jens Friebe, Livekamera: Alexa Brunner, Josephine Reinisch.

Premiere war am 8. Oktober 2106, Kritik vom 9. Oktober 2016
Dauer: 110 Minuten, keine Pause

 

Laden ...
Fehler!