Gorki Theater Berlin: Kritik von "Denial" – Yael Ronen
Premiere. Eine Inszenierung über die Verdrängung von dramatischen privaten Erlebnissen. Biografisches mischt sich mit rein Fiktivem. Viele Einzelszenen wechseln sich ab, ohne einen geistigen Überbau.
Çiğdem Teke
© Esra Rothoff
Originalität, Komik und Betroffenheit
Andere Szenen sind näher dran am Thema. Oscar Olivio, eher von einem rustikalen Blödelcharme inspiriert, spielt einen Homosexuellen, der ein Coming-In konsequent ablehnt und plötzlich sein bislang verschleiertes Coming-Out zelebriert, und das auf eine sehr humoristische Weise, die beinahe ins Kasperhafte abgleitet. Für Lachstoff ist gesorgt, aber diesmal ist hier kein subtiler Witz anvisiert. Die Komödie in der Tragödie: Das scheint ein Programm von Yael Ronen zu sein. Die Spezialistin für Tragikomödien kokettiert, ja flirtet immer ein wenig mit dem Publikum, als bestehe ein unausgesprochenes Einverständnis. Die Sätze der Figuren sind so platziert und miteinander verbunden, dass Originalität und Komik hindurchschimmern, selbst in den schicksalhaften Momenten. – Eine Neuentdeckung ist die Gorki-Debütantin Maryam Zaree, die viel in Filmen auftrat und auch im Talentschuppen Ballhaus Naunynstraße spielte, wo übrigens die Intendantin Shermin Langhoff gerne auftaucht. Zarees Professionalität ist sogleich spürbar. Ihre Figur – die einzige, die konkret das Politische berührt - flüchtete mit zwei Jahren von Iran nach Deutschland, weil ihre Mutter, eine persische Widerstandskämpferin, ebenfalls flüchtete. Die Verschwiegenheit dauerte lange an: Zaree wendet dem Publikum den Rücken zu, da ihre Mutter möglicherweise einen kleinen Teil des Publikums bilden könnte.
Fiktive Autobiografien
Die Frage, ob das, was die Akteur*innen von sich preisgeben, tatsächlich wirklich erlebt und wie viel Erfundenes zur Glättung und publikumswirksamen Abrundung hinzugemischt wurde, ist relativ unwichtig. In der Literatur gibt es die Kategorie ‚fiktive Autobiographie' – eine Verschmelzung von Erlebtem und Fiktivem. Insofern ist es nicht von Belang, inwieweit etwa Dimitrij Schaads Privatbekenntnisse der Wahrheit entsprechen. Was er sagt, ist Teil eines Kunstwerks, das nicht zufällig viel Vertrauliches und Persönliches enthält. Der Unterhaltungscharmeur Schaad, der auch von sexuellem Missbrauch als Kind parliert, verkörpert einen Familienvater, der in heftige Kontroversen mit seiner Gattin (Orit Nahmias) verstrickt ist. Sie wirft ihm häusliche Gewalt vor, er hält sie für eine mythomanische Halb-Psychopatin. Das sind köstliche Wortgefechte – doch bedauerlicherweise ist das eine allzu häusliche Geschichte. Ronen wartet diesmal mit Momentaufnahmen und Splittern auf, denen die übergeordnete Idee fehlt. Diese Inszenierung, die eine für ihre Verhältnisse recht unpolitische ist, gehört nicht zu ihren stärksten Arbeiten: Zu richtungslos stehen die Separatszenen nebeneinander. Statt Verleugnung und Verdrängung werden zahlreiche Enthüllungen präsentiert. Das krasse Gegenteil also: Ein Bekenntnistheater. Was bleibt vor allem haften? Der ästhetische Genuss beim Betrachten der Schauspieler*innen.
Denial
von Yael Ronen und Ensemble
Regie: Yael Ronen, Bühnenbild: Magda Willi, Kostüme: Amit Epstein, Musik: Nils Ostendorf, Video: Hanna Slak, Dramaturgie: Irina Szodruch.
Mit: Maryam Zaree, Dimitrij Schaad, Çiğdem Teke, Orit Nahmias, Oscar Olivio.
Gorki Theater Berlin, Premiere vom 9.September 2016
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)