Lea Draeger

© Esra Rotthoff

 

Spannungsarm, aber innerlich aufwühlend

Die scheinbare Müßiggang-Ruhe wird gestört durch den ankommenden Anwalt Ransom (Mehmet Ateşçi), dessen Gesicht von Liberty Valance (Yousef Sweid) nach einer Prügelei heftig lädiert wurde. Den geistig bewanderten, aber für die Zustände zu weichherzigen Advokaten möchte man am liebsten gleich wieder loswerden, doch man lässt den Mann mit den demokratischen und aufklärerischen Impulsen gewähren. Der Regisseur Hakan Savaş Mican inszeniert besonnen, maßvoll, kaum exaltiert: Es gibt keinen wirkungsmächtigen Slapstick, es wird nicht gehüpft oder gesprungen und auf Mitklatsch-Countryklänge wird ganz verzichtet. Ein Aufbau von Spannung oder gar Hochdruck, wie es normalerweise bei einem Western üblich ist, findet auch nicht statt. Trotz des Weglassens von Gemütsstimulation und Aufregung sehen die Zuschauer*innen spannende Augenblicke anderer Art, etwa wenn Bert die Seele der hübschen Hotelbesitzerin Hallie (Lea Draeger) okkupieren möchte. Kraftgefühl und die Aura von Lebensfülle schmelzen rukartig dahin und es bleibt ein Männchen übrig, das mit gedämpft-schwärmerischen, gefühlsbetonten und wie auswendig gelernten Worten ringt und sich in einem pseudo-romantischen Dickicht verstrickt. Zunächst scheint Hallie auf den verzagten Balztanz hereinzufallen, sie läuft auf Bert zu, um sich dann vom ihm unmissverständlich abzuwenden.

 

Ein Mann reiht sich ein in den amerikanischen Demokratie-Mythos

Der angesteuerte Kulminationspunkt ist wohl das Schießduell zwischen dem waffentechnisch ungeschickten Juristen und dem Ballerprofi Liberty Valence. Überraschend obsiegt der Intellektuelle, weil der Schurke hinterrücks vom wachsamen Bert erschossen wird. Ateşçis eigentlich unterlegener Ransom triumphiert und nutzt dies trotz schlechten Gewissens für seine Karriere. Auch der optisch heruntergekommene Journalist Henry Locke (Tim Porath), der Fraktion der Klebrigen zugehörig, ist plötzlich für eine politische Vertretung in Washington. Nun wird der Amerika-Hammer geschwungen: Mehmet Ateşçi steht da wie die Verkörperung von Recht, Ordnung und Gesetz, eingedenk des demokratischen Auftrags. Steht da in einen feinen Anzug mit US-Krawatte, die heroische Kühle des Gesichts verklärt durch ein publikumsfreundliches Dauerlächeln, das auch ein überkritisches, starres Omaherz überrumpeln könnte. Ransom schnappt seinem nützlichen Lebensretter auch die Frau weg, besser: die zerfließende Hallie, eine Freiheitsstatue auf dem erleuchteten Haupt, fliegt ihm förmlich entgegen. Am Ende erscheint sie in einem Glitzerkleid wie ein Model auf dem Catwalk. Infolge einer feinnervig ziselierten Schminktechnik wurde das Maximum aus ihrem ebenmäßigen Gesicht herausgeholt. Überhaupt Lea Draeger: Während einige ihrer zahlreichen Kolleg*innen auf einer gewissen Entwicklungsstufe verharren, hat sie ihr Spektrum erweitert und sich in ihrem Gestenspiel professionalisiert, und das nach langen Schaubühnen-Jahren, wo sie nur in Falk Richters Kabale und Liebe neben Stefan Stern eine Hauptrolle erhielt. Ein Vergnügen diesmal, Lea Draeger zuzusehen. Und was macht eigentlich ein in Agonie liegender Pistolenheld? Yousef Sweid wälzt sich mit letzten Kräften zum Klavier und intoniert David Bowies This is not America mit einer Stimme, die wie ein brüllender Klagegesang herauskommt. Klar, die Inszenierung ist angefüllt mit Klischees, aber Mican versteht es, handwerklich clever mit ihnen umzugehen. Ein Abend nicht ohne Reize.

Der Mann, der Liberty Valance erschoss
von Hakan Savaş Mican

gleichnamige Erzählung von Dorothy M. Johnson
Regie: Hakan Savaş Mican, Bühne: Sylvia Rieger, Kostüme: Sophie Du Vinage, Musik: Jörg Gollasch, Video: Hannes Hesse, Sebastian Pirchner, Dramaturgie: Ludwig Hauck.
Mit: Lea Draeger, Mehmet Ateşçi, Taner Şahintürk, Yousef Sweid, Volkan Türeli, Tim Porath.

Gorki Theater Berlin, Premiere vom 14.01.2017
Dauer: 115 Minuten, keine Pause.


 

Laden ...
Fehler!