Thomas Wodianka

© Esra Rotthoff

 

Shlink wird zum Zuhälter von Jane und Marie

Als Garga (Till Wonka) in einen südpazifischen Inselstaat auswandern möchte, fällt dem jungen Brecht nichts anderes ein als eine alte Mafia-Strategie: Die Sippenhaft. Shlink (Thomas Wodianka) geht in die Offensive, er ergreift von Gargas Geliebter Jane (Mateja Meded) und seiner Schwester Marie (Lea Draeger) Besitz und macht sie zu Zwangsprostituierten. Selbstverständlich hat der Wohlhabende auch Freunde aus der Unterwelt, Dimitrij Schaad beispielsweise ist einer davon. In einer Einzelszene legt er einen Monolog mit Fistelstimme hin. Die Worte kommen wie aus einer schmutzigen Röhre heraus, rostig und scharf. Es ist dies eine einzige Auflehnung, in der quasi als Unterton einer Feier des Chaos mitschwingt. Und die Lust am Zerstören des Aufgebauten, zugleich anarchistisch und vielleicht auch – rechtspopulistisch? Wenig später brennen auf der Leinwand die Wohnblöcke von Rostock-Liechtenhagen (1992). Diese Stelle bezieht sich aber wohl eher auf eine befürchtete Lynchjustiz: Garga hat Shlink wegen der Vergewaltigung seiner Schwester Marie angezeigt. Auf der Bühne (Robert Lippok) sind kleine Miniatur-Wohnblöcke installiert, in denen etliche Lichter aufleuchten. Die zubetonierte Anonymität einer Großstadt, die der Entfremdung Vorschub leistet. Und tatsächlich, keine der handelnden Personen scheint eine eigene Identität zu besitzen. Stattdessen fahriger, planloser, ja zwanghafter Aktivismus ohne eigentliches Ziel, wenn nicht das Ziel in der Erprobung der eigenen Kräfte liegt.

 

Ein Kampf zweier Medien

Der Rezeption zufolge hat Brecht einen Beitrag zum damals in Chicago und anderswo noch virulenteren Rassismusproblem geliefert. Tatsache aber ist, dass der gelbfarbige Shlink eindeutig der Aggressor und Garga der sich Wehrende ist, freilich aufgeladen mit gnadenlosen Rachegelüsten. Dieses allmählich ausufernde Duell ermüdet auf Dauer. Es ist ein dramatischer Kampf ohne Grund, ein irrationales Kräftemessen, in dem die Mittel immer primitiver werden. Das gegenseitige Fertigmachen mutiert dann zu einer gegenseitigen Liebe, die allerdings aus Hass gespeist ist. Und auch Marie hat Gefühle für ihren Vergewaltiger. Ganz so, als seien Täter und Opfer aneinander gekettet. So wie Wonka seinen Garga spielt, ist er kein geborener Rächer. Mitunter sogar ein Verzagter, Zweifelnder, der nur in irrationalen Gefühlsräuschen von impulsiven Entschlüssen diktiert wird. Garga nimmt sich die als Prostituierte entwürdigte Jane zur Frau, und auf der Leinwand sieht man ein üppiges Fest nebst Vater Garga (Norbert Stöss). Die Frau im weißen Brautkleid – das kann nur die bis zur Unerkennbarkeit verwandelte Medeja Meded sein, die in Common Ground stark aufspielte, in Baumgartens Zement blass blieb und hier, offensichtlich gut erholt, etwas brilliert. Eben dieses fortwährende Wechselspiel zwischen Kino und Theater ist das eigentliche Problem des Unternehmens. Fast kommt ein bisschen Freude auf, wenn wieder Theater gespielt wird – aus Gründen der Authentizität. Den von Überzeichnungen und Karikaturen angefüllten, wie aufgeklebten Filmszenen haftet etwas seltsam Steriles an. Es ist leider auch ein Kampf zweier Medien, bei dem keine Harmonisierung gelingt. Den Film ohne Beiwerk anzusehen, ist wohl kein sonderliches Vergnügen.

Dickicht
nach Bertolt Brecht
Regie: Sebastian Baumgarten, Bühne: Robert Lippok, Video: Hannah Dörr, Kostüme: Jana Findelklee und Joki Tewes, Dramaturgie: Ludwig Haugk, Musik: Stefan Schneider.
Mit: Mateja Meded, Dimitrij Schaad, Lea Draeger, Thomas Wodianka, Till Wonka, Norbert Stöss, Taner Şahintürk, Aleksandar Radenković.

Maxim Gorki Theater, Premiere vom 11. März 2017.
Dauer: 135 Minuten, keine Pause

 

Laden ...
Fehler!