Nichts ist so, wie es niemals war

Nichts ist so, wie es niemals war (Bild: © Esra Rotthoff)

Von Kreuzberg nach Istanbul

Es wird viel gesungen. Auf der kleinen Bühne des Studios musizieren Elmira Bahrami, Volkan Türeli und Mehmet Yilmaz, die alle auch schauspielern und in das Handlungsgefüge eingreifen. Hauptunterhalter ist ohne Zweifel Mehmet Ateşçí als Elyas, der seine Ungehaltenheit verhalten und gedämpft zum Ausdruck bringt und nicht den Fehler begeht, in ein hysterisches Gejammer auszubrechen. So kommen Niedergeschlagenheit, Bedrücktheit und existentielle Unbehaustheit authentischer zu Geltung und lassen auch Platz für eine verzuckerte Melancholie, die sich an eine bessere Daseinfristung klammert. Am besten versteht sich Elyas mit seinem "Onkel" Cemal (Mehmet Yilmaz), mit dem er auf der Couch lockere Sprüche wechselt, die mitnichten an eine Therapie-Couch erinnern. Auch zu seinem in Agonie liegenden Vater, der in der Türkei lebt, nimmt er telefonischen Kontakt auf, aber der Alte reagiert nicht. Elyas entschließt sich für einen Trip in die Türkei, um etwas zu finden, was ihm längst zwischen den Fingern zerronnen ist. Im Gepäck die junge Ärztin Aylin (Elmira Bahrami), für deren Bereitschaft er per einschmeichelndem, irisierendem Gesang rechtzeitig gesorgt hat. Auf der Leinwand ist ein Stück Berlin aus der Vogelperspektive zu sehen, vielleicht ein Kreuzberger Beton-Rückzugsgebiet oder die Gropiusstadt, und nach der Abreise sieht man osmanische Bauten, die leicht in den Himmel ragen. Aber himmlisch fühlt sich Elyas noch lange nicht.

 

Der Boden unter den Füßen ist weggezogen

Istanbul, das Schwarze Meer – das sind die Stationen des sonderbaren Paars, das auf der Suche einigermaßen zueinander gefunden hat. Aber ist das nun die Heimat? Die beiden lernen sich besser kennen, aber in den Händen halten sie – nichts. Sie wandeln zwischen den Welten, ohne in einer Welt daheim zu sein. Das freie Schweben ohne eigentliche geistige Heimat ist zermürbend, als habe man seinen Schatten verkauft und führe ein orientierungsloses Nomadendasein. Der Boden unter den Füßen ist weggezogen, letztlich bleibt das Familiäre, das noch eine Art Sockel oder Stützwerk bildet. Doch der Vater stirbt, eingeschlossen in einen Metallsarg und 4000 Kilometer weit transportiert, stirbt als einstiger Malocher, wie seine Generation. Das Erbe, das man mit sich herumgeschleppt hat, ist erloschen, wird aber im Kopf weiterleben und darin eine Wunde hinterlassen.

Die Frage, inwieweit der ‚Fall' Elyas als repräsentativ oder exemplarisch anzusehen ist, lässt sich nicht erörtern. Tatsache ist, dass Migration massive Existenzprobleme mit sich bringen kann, und das hat Hakan Savaş Mican glaubwürdig dargestellt, leichtfüßig und jammerlastbefreit. Dieser Nebenarbeit ohne größere Ambitionen haftet etwas Beschwingendes an, und das liegt nicht nur am schönen Gesang von Elmira Bahrami. Trotz des harten Denkstoffs ein jederzeit angenehmer Abend.

Die Ungehaltenen

nach dem Roman von Deniz Utlu

in einer Bühnenfassung von Hakan Savaş Mican und Necati Öziri

Regie: Hakan Savaş Mican, Bühne + Kostüme Sylvia Rieger, Musik Volkan T., Video: Benjamin Krieg, Dramaturgie: Necati Öziri.

Es spielen: Mehmet Ateşçí, Elmira Bahrami, Volkan Türeli, Mehmet Yilmaz.

Gorki Theater Berlin

Premiere war am 30. Juni 2015

Dauer: ca. 90 Minuten

 

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