© Esra Rotthoff

 

 

Rotpeter heiratet in eine wohlhabende Familie ein

Die Bühne von Igor Pauška ist relativ karg eingerichtet, es gibt ein paar Sitzgelegenheiten und die gesamte Rückwand ist vollgestellt mit Büchern wie bei einem Wissenschaftler. Besonders belesen und intellektuell ist Rotpeter aber nicht, mitunter wird er von seinen Urinstinkten überwältigt und fällt in äffisches Verhalten zurück. Er entstammt dem Zoo-Imperium der Tiergroßhandlung Hagenbeck, in deren Familie er schließlich einheiratet, Josephine (Lea Draeger) ist die Auserwählte. Bei der Trauung – wo sind Rotpeters Eltern? - will es mit dem Amourösen und Libidinösen nicht so recht klappen, schon der Heiratskuss gerät zur Farce, vermutlich zu wenig Übung oder Testosteron. Aram Tafreshian als Vater Hagenbeck läuft notorisch nackt herum, doch der Big Boss oszilliert häufig zwischen Albernheit und gespielter Seriosität. Und Rotpeter, der zum Varieté-Star reüssiert ist, wo er als Show-Spektakel angeglotzt wird, hadert mit seinem Schicksal, weil er eine Art Zwischending ist, das immer wieder dem Atavismus anheimfällt. Die Figur Tamer präsentiert Rotpeter einigen neugierigen Frauen, und eine sagt skeptisch und lakonisch: "Der ist immer noch ein Tier". Selbstverständlich wird auch das Thema Judentum aufgegriffen, Josephine ist erleichtert, dass er nichts gegen Juden hat. Und Kafkas Geschichte wurde ja von Teilen der Rezeption verstanden als die Assimilation eines Juden ans Christentum. Ein nerviger Sensationsjournalist taucht auf und nach einer Anlaufphase gibt es auch einen kleinen Rotpeter, der unausgesetzt weint.

 

Vom Affen zum Bundestagsabgeordneten

Irgendwann kommen die Hagenbecks auf den Gedanken, dass Rotpeter für den Bundestag kandidieren soll. Überhaupt hat der Regisseur unheimlich viel in die Inszenierung hineingepackt, etwa eine Kunst-Versteigerung, wo ein Bild des Malers Adolf Hitler für eine horrende Summe gekauft wird. Und der Meister Kafka wird auch in den Text eingeflochten, er führt ein Gespräch mit Rotpeter und stellt klar, dass der nur ein fingiertes Produkt des Schriftstellers sei. Rotpeter also als fragwürdiges, hin-und hergerissenes Kunstwerk, das von der Gnade des Meisters abhängt. Oliver Frljić, eine cleverer Regisseur, liefert eine Kombination aus Plumpheit, Überfülle und Subtilität ab, jederzeit Gefahr laufend, ins Arglose und Kasperhafte abzugleiten. Am Ende krachen alle Bücher zu Boden. Rotpeter ist längst ein Arrivierter, der eine Bundestagsrede hält und den Bundespräsidenten zitiert. "Tatsächlich hat Deutschland die schwerste Prüfung, die einem Volk auferlegt werden kann, bestanden. Aus den Tätern von damals ist ein Land geworden, das als Vorbild für moderne Demokratien funktioniert. Deutschland ist wie Phönix aus der Asche seiner Schuld gestiegen, es ist Zeit, die Asche abzuschütteln..." Nun ja. Immerhin, das ist die interessanteste Gorki-Inszenierung seit einiger Zeit.

 

Ein Bericht für eine Akademie
nach Motiven der Erzählung von Franz Kafka
Regie: Oliver Frljić, Bühne: Igor Pauška, Kostüme: Sandra Dekanić, Licht: Jens Krüger, Ton: Hannes Zieger, Dramaturgie: Johanna Höhmann.
Mit: Lea Draeger, Vidina Popov, Mehmet Ateşçi, Jonas Dassler, Svenja Liesau, Nika Miškovi, Aram Tafreshian.
Gorkit Theater Berlin, Premiere vom 8. Februar 2019
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

 

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