Mr. Sloane (Jerry Hoffmann)

Mr. Sloane (Jerry Hoffmann) (Bild: © Esra Rotthoff)

Ein unverwüstlicher Verkasperungsprozess

Auf einem ausgebreiteten weißen Flokati-Teppich wird gleich zu Beginn dermaßen chargiert, dass die Fahrtrichtung der Inszenierung überdeutlich markiert ist und auf störende Subtilitäten wohlweislich verzichtet wird. Ein unverwüstlicher Verkasperungsprozess wird in Gang gesetzt, der auch vor den gröbsten Schrillheiten nicht Halt macht und das Aufgedonnerte und Demonstrative zum vorherrschenden Stilprinzip erhebt. Die Figuren sind nicht klar konturiert und mit unverbrüchlicher Individualität ausgestattet, sondern hoffnungslos überzeichnet. Die pantomimisch erhitzte Mareike Beykirch als Kathy reißt wild die Schranktüren auf, schließt sie wieder, Hauptsache, es wird nicht verbrannte Energie vorgetäuscht und ausreichend Lärm erzeugt. Einmal wird eine Tür so heftig zugeknallt, dass eine friedlich eingeschlummerte Frau im Parkett wieder zu neuem Leben erwacht. Alles an Beykirch ist hektische Betriebsamkeit, außerdem frönt ihre Figur einem bizarren Hobby: Sie besitzt eine bizarre Sammlung von bunten Vorgartenzwergen, als wolle sie verkrampft ein kleinbürgerliches Element in ihr warmhalten, um andere an die Oberfläche drängende Begehrlichkeiten zu unterdrücken. Doch die Regressionsbemühungen sind zum Scheitern verurteilt.

 

Hin- und Hergerissen zwischen Eros und Gartenzwerg-Spießertum

Als sie des jungen farbigen, unverbrauchten Fleischs von Mr. Sloane ansichtig wird, bröckelt die mühsam aufrechterhaltene Fassade ab und der Niederreitungsdruck wird übermächtig. Dabei kommen ihr die Zurückhaltung und Unsicherheit des zufällig Gestrandeten zustatten, dem sie aufgrund seiner Herkunft einige sinnliche Eigentümlichkeiten andichtet. Hin- und hergerissen zwischen Eros und Gartenzwerg-Spießertum, liegt der Gedanke nahe, dass sie sich den Lederschurz des Kunststoffindustrieprodukts feucht vorstellt. In dieser Damenreiterinszenierung kommt es wie selbstverständlich zur sexuellen Bemächtigung, und der junge Neumieter lässt alles über sich ergehen. Alexandar Radenković als Bruder Ed kümmert sich auf seine Weise um den zögerlich agierenden Mitbewohner, die Chefallüren des Parvenus sind überdeutlich. Nur kann Ed im Vergleich zu seinem Schwester dem sexuellen Hochdruck weitaus besser standhalten. Hinzu kommt noch der greise, grenzdebile Vater Kemp (Thomas Wodianka), bei dem Erpulat, eine reine Karikatur im Sinn, alle Ernsthaftigkeit fahren lässt. Der Alte brabbelt Unverständliches vor sich hin, hält Mr. Sloane für den Mörder seines Chefs und ist etwa eine halbe Stunde halbwegs originell und noch erträglich, bis er schlichtweg nervtötend wird und man sich seinen baldigen Tod herbeiwünscht.

 

Phallusritterin der tumben Gestalt

Der tritt auch ein, und das ist auch die Klimax bei einem Regisseur, der eine Tendenz zur unverhohlenen Antiklimax hat. Nach einer Provokation erdrosselt Mr. Sloane den Alten mit einem Kabel, aber der steht immer wieder auf, klammert sich mit Greisenwut ans Leben und singt "The show must go on" von Queen. Jeden Zipfel des Lebens möchte er noch erhaschen und selbst den allerletzten Atemzug auskosten. Der erpressbar gewordene Mörder ist nun in der Hand der Geschwister, die ihn in sexueller Hinsicht unter sich aufteilen. Mr. Sloane ist nicht gezeichnet als treibende Kraft, als Durchtriebener – er ist eher ein Getriebener, der wie ein Ball irgendwo hingetreten wird. Die Phallusritterin der tumben Gestalt hat ihn nun ein halbes Jahr für sich. Nurkan Erpulat, von unerbittlichem Unterhaltungswillen motiviert, hat offensichtlich nicht in Betracht gezogen, dass nicht wenige Zuschauer eine solche Art von Humor nicht unbedingt goutieren. Quo vadis, Gorki Theater? Das Gorki hat in der letzten Spielzeit ein Serie von passablen bis gelungenen Inszenierungen hingelegt und zu Recht die Auszeichnung ‘Theater des Jahres' erhalten und trägt seither diese Krönung wie ein Schild vor sich her. Aber diesen Standard muss man auch halten und sich immer wieder neu erarbeiten. Leider fielen die drei letzten Inszenierungen ziemlich enttäuschend aus und es hat ganz den Anschein, als wolle das Gorki den Kudammbühnen einige Zuschauer abjagen. Jetzt von Krise zu reden wäre natürlich Unsinn, aber das Gorki sollte sich auf seine alten Stärken berufen: Ästhetisch und politisch anspruchsvolle Projekte mit Hintersinn.

Entertaining Mr. Sloane 
von Joe Orton
Deutsch von Brigitte Landes
Regie: Nurkan Erpulat, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Bernd Schneider, Musik: Tilmann Ritter, Licht: Jens Krüger, Dramaturgie: Holger Kuhla.
Mit: Jerry Hoffmann, Aleksandar Radenković, Thomas Wodianka, Mareike Beykirch, Tilmann Ritter.

Gorki Theater Berlin

Premiere vom 13.November 2014
Dauer: 100 Minuten, keine Pause

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