Schöne Hände greifen nach einem ...

Schöne Hände greifen nach einem bescheidenen Glück (Bild: © Esra Rotthoff)

Politisch vertriebene Liebe lebt in Amerika weiter

Unterschiedlicher können die Frauen kaum sein. Die von Orit Nahmias gespielte Yadwiga ist hier gar nicht so grobschlächtig, sie besitzt eine Bauernschläue und versteht die Verhältnisse trotz eines eingeschränkten Vokabulars – sie kann Erlebnisse nicht auf ein abstraktes Begriffsniveau übertragen – nur intuitiv. Ausgestattet mit Waden wie Baseball-Schläger, kontrastiert sie stark zur schlanken Lea Draeger als Mascha, deren Verstand in Augenblicken aussetzt, wenn die Liebe zu heftig wird. Sie ist impulsiv, fordernd, besitzergreifend und setzt ihre ihr von der Natur verliehenen knusprigen Elemente gnadenlos ein, und der ausgesuchte Frosch reagiert mit übersteigertem Appetenzverhalten. Ihren appetitlichen Busen entblößend ist Broder (Aleksandar Radenković) fast ein Opfer einer Sinnlichkeit, die sein sanftes Gemüt intervallartig überrollt. Und Çiğdem Teke spielt die von den Toten wiederauferstandene Tamara als eine Vernunftbegabte, die den gerechten Ausgleich, die Balance fordert, aber trotzdem ihre institutionell abgesicherten Rechte einfordert. Teke trägt eine US-Frisur, die an frühe, nicht gerade schmückende Erscheinungsformen des Rockabilly erinnert. Auch die unkündbare Ruth Reinecke als Maschas orthodoxe Mama trägt eine von der Kostümabteilung verordnete abenteuerliche Haarpracht, die Bill Haley mit einem quasi zweigeteiltem Haupt vorwegnimmt. Es gibt nicht nur äußerlich (Erlebnis-)Komik, auch in den Dialogen. Trotzdem dominiert der Ernst der Emotionen. Broder, ein Frauenheld wider Willen, wird von den Ereignissen überrumpelt, er will es sich und allen recht machen und macht es niemandem recht, auch sich selbst nicht.

 

Schlicht, teilweise ergreifend

So etwas muss man erst einmal darstellen, mit – einer den Figuren geschuldeten – Oberflächenhaftung. Und mit Tiefsinn. Das gelingt Ronen, die ihr Biographie-Spezialgebiet jäh verlässt, recht gut – auch mit minimalistischer Bühne. Die Zuschauer sehen ein Bühnengerüst, verwinkelt, sparsam, an ein vorläufiges, entwicklungsbedürftiges Baumodell gemahnend. Die Nebenbuhlerinnen verfolgen die Selbstbehauptung ihrer jeweiligen Rivalin von ihrem Gerüstpodest mit kritischer bis abfälliger Geste; einer polygamischen Ordnung, auch wenn sie ideologisch abgesichert wäre, misstraut jede der human verbrämten, aber egoistisch Liebenden. Kein Zusammenhalt im Exil. Zum Glück vermeidet es die Israelin Yael Ronen, die hinlänglich bekannte, historisch schwer erträgliche Holocaust-Last noch weiter theatralisch auszuschlachten. Der bärtige Musiker Daniel Kahn, vollbärtig und scheinbar glücklich, der auch mal als gerissener Etablierter ins Geschehen eingreift, sorgt für Entlastung, er spielt Klezmer, Rock‚n' Roll und sonstiges, mit permanent lachenden Augen, andernfalls hätte man ihn beinahe optisch verwechselt mit dem nicht ganz so lustigen, grandiosen Filmemacher Fassbinder. Leichtfüßig kommt die Inszenierung daher – es geht diesmal nicht ums humanistisch Große, ums Weltpolitische, sondern um die im Exil erschwerte Verwirklichung eines zumindest mediokren Glücks, das das geschichtlich bedingte eingefrorene Blut in die Halbkammern des Herzens pulsiert. Vordergründig betrachtet ist es ein durchaus komisches Stück. Doch darunter liegen die emotionalen Untertöne, die Zwischentöne und der Wunsch nach dem Metaphysischen, das eine nicht hinterfragbare unauslöschliche Einheit vorsieht. Yae Ronen inszeniert mit guten Schauspieler*innen – vor allem die überhitzt sprudelnde Lea Dreager und der liebesunbeholfene Aleksandar Radenković ragen heraus - kein die Zeit überdauerndes Meisterwerk. Doch es ist ein stilles Glück für manchen Zuschauer.

Feinde – die Geschichte einer Liebe
von Isaac Bashevis Singer
Regie: Yael Ronen, Bühne: Heike Schuppelius, Kostüme: Amit Epstein, Musik: Daniel Kahn, Musiker: Christian David, Hampus Melin, Video: Hanna Slak, Dramaturgie: Necati Öziri.
Mit: Lea Draeger, Aleksandar Radenković, Çiğdem Teke, Orit Nahmias,, Ruth Reinecke, Daniel Kahn, Christian David, Hampus Melin.

Gorki Theater Berlin

Premiere vom 11. März 2016
Dauer: 120 Minuten, keine Pause

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