Gorki Theater Berlin: Kritik von "get deutsch or die tryin'" – Sebastian Nübling
Premiere. Ein in Deutschland geborener Türke verliert seine Freunde und ist bei seinen gestrandeten Eltern auf Spurensuche.
Dimitrij Schaad
@ Esra Rotthoff
Das komplizenhafte Bündnis zerbricht
Die Inszenierung beginnt furios, beginnt mit den harten Trommelschlägen von Almut Lustig. Eine knallige Ouvertüre, wie ein heranbrechendes Feuer, das sich dann als Strohfeuer erweist. Arda und seine etwa gleichaltrigen Kumpels Bojan, Danny und Savaş sitzen auf einer Bank und beobachten das Bahnhofgetriebe. Die Polizei und gefährliche Randgruppen sind unterwegs und bieten ein gerade noch akzeptables Schauspiel, halbwegs tauglich zum Sprücheklopfen und Ablästern. Savaş wird gespielt von Linda Vaher, die dabei kokett ihre Fingernägel kontrolliert. Chillen, Akohol, einige Deals und coole Nörgeleien – wer kennt sie nicht, diese Zerstreuung suchenden Randgruppen auf verlassenen Bänken? Ein Zusammenhalt zwischen Freunden, die von den Einheimischen als Gastarbeiternachwuchs oder Flüchtlinge kategorisiert werden und ein komplizenhaftes Bündnis geschlossen haben, um sich gegen die Anfechtungen und Fährnisse der Außenwelt zu wappnen. Aber das Band ist dünn und zerbrechlich: Abschiebung droht, Flucht oder Verheißungen aus der vermissten Heimat. Und bald sitzt Arda allein da, sich als Fremder noch fremder fühlend. Kein seltenes Gefühl bei Menschen, die jenseits der Heimat leben. Aber Arda leidet dermaßen daran, dass er sich als letzte geistige Zuflucht an das verkorkste Leben seiner Eltern erinnert. Und der in Magenta steckende Dimitrij Schaad erstattet darüber Bericht.
Eintauchen in die Welt der Eltern
Und wie er berichtet! Wie einer, der kurz vor der Deadline steht. Mutter Ümran war schwere Alkoholikerin, der es nur nach hartem russischem Stoff verlangte, und der Vater Murat ein gescheiterter Dissident und Rebell, der nach der versuchten türkischen Revolution von 1980 17 Jahre Haft erhielt und nach Deutschland flüchtete. Der erst spät ins Bühnentreiben eingreifende Taner Şahintürk als Vater trägt zur Hochzeit einen großen weißen Rock, der ihn stark feminisiert. Das komplette Ensemble mit langen Federbüschen auf dem Haupt, wie beim Varieté, als wolle man ein Stück Friedrichstadtpalast hertransportieren, nur dass die Gorki-Akteur*innen nicht so gelenkig und biegsam sind. Obwohl nicht von Hüftsteifheit befallen, bewegt sich Schaad kaum im Bemühen, das Wechselbad seiner Gefühle darzustellen. Er zieht das halbe Register seines vermuteten gestischen Apparats – und wenn er ohne Raffinesse tragisch sein will, kann es sein, dass er ins Komische verrutscht. Die Mama (Pinar Erincin) müsste sich eigentlich dem Verfallsstadium angenähert haben, aber die Schauspielerin ist hübsch, vital und scheint ein Verprechen zu sein, das sie bedauerlicherweise nicht einhalten kann. Drumherum ein Chor, der auch mal ‚Arschloch' ausruft und sich um optische Verzückungen und Show kümmert für jene, die dem Text kritisch gegenüberstehen. Zadeks Inszenierung von Ibsens "Rosmersholm" in Wien 2001 hat gezeigt, wie man aus einem schwachen Text ein grandioses Schauspielerfest machen kann. Aber die Intendantin Shermin Langhoff hat nicht Gert Voss, Angela Winkler und Peter Fitz im Programm. Immerhin, trotz der reduzierten Mittel ist etwas herausgekommen, das das bloß Konsumierbare und Unterhaltende übersteigt.
get deutsch or die tryin'
von Necati Öziri
Regie: Sebastian Nübling, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Pascale Martin, Musik: Lars Wittershagen, Dramaturgie: Ludwig Haugk.
Mit: Pinar Erincin, Taner Şahintürk, Aleksandar Radenković, Aram Tafreshian, Dimitrij Schaad, Linda Vaher, Almut Lustig.
Gorki Theater Berlin, Premiere vom 20. Mai 2017
Nettodauer: 1 Stunde 50 Minuten
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)