Sesede Terziyan

© Esra Rotthoff

 

 

Flirts mit der linken Revolution

Die Bühne von Sylvia Rieger: Eine sich verflüchtigende Häuserfront mit weißen Fenstern oder Dekormustern. Die von Sesede Terziyan gespielte Elisabeth läuft voller Zuversicht im Institut ein, stößt aber auf einen widerwilligen Präparator, der solche Geschäfte nicht tätigen will. Mehmet Ateşçi als Präparator ist bis zur Unkenntlichkeit verwandelt, seine hochmütige Erscheinung streift das Komische. Die Musik steuert Daniel Kahn bei, gleich zu Beginn begleitet er Terziyans Monolog auf dem Klavier. Völlig unpassend ist ein von ihr angestimmtes türkisches Klagelied, da Türken 1929 – 1932 in Deutschland Mangelware waren. Nicht nur hier findet sich ein Brückenschlag zur Gegenwart: Bei mancher Wutrede scheint es, als wären auch die heutigen Verhältnisse angeklagt, die doch bei weitem nicht so schlimm sind und schwerlich zu einem Vergleich herangezogen werden können, abgesehen vom Versuch einiger unverbesserlicher Apokalyptiker vielleicht. Jene, die wenn nicht aufsteigen, so doch mithalten möchte, macht kleinere Flirts mit der linken Revolution. Eigentlich unpolitisch, wird sie angesichts der wohlhabenden Flaneure und Geschäftsleute von Futterneid zerfressen. Eine alter kühner Wunsch steigt auf: Oben und unten wechseln ihre Plätze, auf dass es in der Welt gerechter zugehe! Nur – ist das noch Gerechtigkeit?

Der Polizist Alfons Klostermeyer (Taner Şahintürk), mit dem Elisabeth nach einem zweiwöchigen Knast-Intermezzo eine Beziehung eingeht, agiert mit Melancholie, Korrektheit und reglementiertem Standard-Auftreten. Eben wegen dieses Gefängnisaufenthalts verlässt er sie wieder, seine Karriere ist ihm wichtiger. Hier lässt sich Horvath erstaunlich wenig einfallen: Es handelt es sich nicht um ein Schwerverbrechen, eher um eine Lappalie, und deswegen wird keine Laufbahn zerstört.

 

Feine Damen, Polizei und ein Krüppel

Ein Wunder, Orit Nahmias (als Irene Prantl und Maria) spricht nicht mehr die englische Sprache, sie hat sich dem Deutschen zugewandt. Wie eine feine Dame aus großbürgerlichem Haus steht sie auf der Bühne, genauso wie Lea Draeger als Frau Amtsgerichtsrat, mit schickem gelben Mantel und roten Handschuhen. Schnell werden Figurenrollen getauscht, Draeger erscheint auch als Oberinspektor mit anthrazitfarbenem Anzug und behördlicher Strenge. Natürlich darf auch ein offensichtlich Kriegsversehrter, ein Krüppel nicht fehlen (Mehmet Ateşçi), ist es doch die Absicht Horvaths, einen Querschnitt der damaligen Gesellschaft zu zeichnen. Schön ist es mit anzusehen, wie die anfangs mutige und ambitionierte Elisabeth durch die widrigen Umstände allmählich absinkt und zerbricht. Die selbstbewusste Stimme von Terziyan weicht in Anbetracht der Niederlagen und des Grauens einem zorngeschwellten Nölen, das in Schreilaute übergeht. Mican liefert solides Handwerk ab, aber den kleinen Vorwurf muss man ihm machen, dass er zu sehr vom Blatt spielen lässt, als sei er ein Schüler Peymanns. Ein großes Plus ist diesmal der Verzicht auf Verulkung von ernsten und seriösen Szenen. Ein recht verheißungsvoller Start ins neue Jahr.

 

Glaube Liebe Hoffnung
nach Ödön von Horváth

Bearbeitung: Lukas Kristl
Regie: Hakan Savaş Mican, Dramaturgie: Irina Szodruch, Bühne: Sylvia Rieger, Kostüme: Sophie du Vinage, Bühnenmusik und Songs: Daniel Kahn, Musik und Sounddesign: Lars Wittershagen.
Mit: Sesede Terziyan, Lea Draeger, Taner Şahintürk, Orit Nahmias, Mehmet Ateşçi,Daniel Kahn.
Gorki Theater Berlin, Premiere vom 13. Januar 2018.

Dauer: 90 Minuten

 

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