Gorki Theater Berlin: Kritik von "Gorki– Alternative für Deutschland?" O. Frljic
Premiere vom 15. März. Das Ensemble setzt sich selbstironisch mit sich selbst auseinander. Bietet das Gorki eine bessere Alternative für Deutschland als eine rechte Politik?
© Esra Rotthoff
Ironie, Spaß und maßlose Betroffenheit
Wie schon so oft geben die Darsteller*innnen gern und rundheraus Selbstauskünfte, die mit rein Fiktivem gemischt sind. Keine Autobiografien werden offenbart, man schüttet lieber eine Art erfundener Wahrheit aus, die aber nicht die Stufe einer inneren Wahrheit erklimmt. Mareike Beykirch beispielsweise erzählt munter drauflos, dass sie monatlich 1600 Euro erhalte und Angst vor einem Arbeitsplatzverlust habe, unter anderem ist sie ja ohne Migrationshintergrund. Und Migration ist die Positionsbestimmung des Theaters, bei der schnell einige in die Opferrolle abrutschen können. Svenja Liesau ist angeblich von einem Syrier vergewaltigt und geschwängert worden und zeigt nun das Zwangsprodukt – eine typischere und brutalere Art unmittelbarer Betroffenheit ist kaum denkbar. Solche Gewaltopfer werden gerne herangezogen, um das gute Deutschtum gegen anbrandende Barbarei zu verteidigen. Und Mehmet Ateşçi ist schwul und Moslem – quasi ein ganzes Paket, das Angriffspunkte eröffnet für die blaue, rechts abgedriftete Partei. Zum Glück bleibt einem das Geschwätz von den Quotenfrauen erspart. Mut zur Wahrheit heißt es eingangs auf der Bühnenwand. Aber wo ist in diesem Betroffenheitstheater der Mut zu finden? Wir hören eingebildete Ängste, Seelenbefindlichkeiten und – das ist wirklich real – die Furcht vor dem Abfall ins Prekariat. Doch damit stehen die Ensemblemitglieder nicht allein. Die Wahrheit findet nämlich draußen statt, auf den Straßen, in den U-Bahnen und Suppenküchen und auf den Schlachtfeldern. Aber davon kein Wort.
Ein gar zu plumper Schluss
Nach einer Weile taucht ein nachgebildetes Gorki-Haus auf der Bühne auf. Bald wird es abgetragen und ein Gerüst von eingeschränkter Bequemlichkeit bleibt übrig, auf dem man sich eher schleicht als recht einrichtet. Irgendwann ist für Frljić der Augenblick gekommen, sich mehr der Politik, kurz der AfD zuzuwenden, die die Vorteile der Demokratie nutzt, um sie zu bekämpfen. Mangelnde Meinungsfreiheit wird angeklagt, obwohl man Andersdenkenden am liebsten das Maul stopfen würde. Falilou Seck trägt eine Rede eines postfaschistischen Wortführers vor. Im Rahmen der versuchten AfD-Vorführung wird es dann doch ein bisschen zu plump und abgeschmackt. Eine Rede von Heiner Goebbels wird eingeblendet: Wie blöd doch diese Demokraten sind, die die Feinde der Demokratie in ihre Institutionen und repräsentativen Häuser lassen. Ganz so einfach kann man es sich mit der AfD denn doch nicht machen. Wäre nicht eine geistreiche Entlarvung besser – und vor allem: anspruchsvoller – gewesen? In Summa: Ein typischer Gorki-Abend, belustigend und mit lockerem Schauspiel-Zauber, der aber durch den drastischen und reißerischen zweiten Teil um seine Bedeutung gebracht wird.
Gorki – Alternative für Deutschland?
von Oliver Frljić
Regie: Oliver Frljić, Bühne: Igor Pauška, Kostüme: Sandra Dekanić, Dramaturgie: Aljoscha Begrich.
Mit: Falilou Seck, Svenja Liesau, Mehmet Ateşçi, Mareike Beykirch, Nika Mišković, Alexander Sol Sweid, Till Wonka.
Gorki Theater Berlin, Premiere vom 15. März 2018
Dauer: 90 Minuten
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)