(Bild: © Oliver Feldhaus)

Wie gehüpft und gesprungen

Die Spielbühne des Gorki Theaters wurde zu einer Sporthalle umfunktioniert, das eröffnet ein gänzlich neues Raumerlebnis – ein neuer Sinneseindruck, wie bei einem Ereignis von unabsehbarer Tragweite. Die Zuschauer sitzen auf extra angefertigten Treppen, lehnen an der Wand oder versuchen es mit einem erträglichen Kuschelsitz auf hartem Untergrund. Ungewöhnliche sportive Aktivitäten sind zu beobachten. Es wird gehüpft, getanzt und gesprungen. Ein Schauspieler schnellt die magnetisch wirkende Seitenwand hoch, ein anderer hüpft gewaltig in die Höhe, das Trampolin muss man sich hinzudenken. Ayham Majid Agha, in Yael Ronens The Situation eingeführt, lässt sich schwerelos in eine Gruppe von friedlichen Kombattanten fallen. Es ist kaum ein Mitmachtheater, die Zuschauer werden nicht in die Gesprächshandlungen einbezogen, sie "müssen" nur kleine Wanderungsbewegungen ausführen, so wie das andere auch tun, nur in größeren, beschwerlicheren Dimensionen. Es wird auch ein Gruppenfoto mit Dame präsentiert: Die sich telegen-weltläufig gerierende Cynthia Micas inmitten von drei Männern, ein Bild, das an eine moderate Rockband oder ein Schauspielerensemble aus dem neuen James Bond gemahnt. Und das in einer Zeit, in der besorgte Bürger befürchten, bald Couscous mit gammligem Kamelfleisch essen zu müssen.

 

Schnelles arabisches Sperma

Das neue Leben in Deutschland soll mehr sein als ein Survival-Training mit Aussichten auf einen kleinen Triumph im offiziell angekündigten Verteilungskampf. Viele bekannte Thesen von oben und unten werden aufgegriffen: Neben aus Geschmacksgründen unzitierbaren Pegida-Parolen hören wir Streitpunkte, die seit langem in Zeitungen und Internetforen diskutiert werden, bis auch der letzte Saft aus dem Diskursstoff ausgequetscht ist. Für sorgenerprobte Besorgte drohen sozialer Unfriede, Arbeitsplatzverlust, Steuererhöhungen und Sozialkürzungen. Einige Eingefleischte fürchten sogar um ihre Frau, weil das arabische Sperma schneller sein könnte und die Germanen Gefahr laufen, auszusterben. Dimitrij Schaad, der sich im Ensemble rein schauspielerisch hochkatapultiert hat, hält diesmal fast nur sein Gesicht hin, aktiver sind beispielsweise die in Moskau geborene Anastasia Gubareva oder die unermüdliche englischsprechende Israelin Orit Nahmias.

 

Schon früher wurde die hehren Äcker Deutschlands überflutet

Sie alle kennen ihren mittlerweile gorkigeprägten Nübling, erreichen einen mit Ironie und Zynismusspaß durchtränkten Erregungsmodus. Das Ärgerliche ist nur: Warum dieser Verteidigungs- und Rechtfertigungsdruck? Thomas Wodianka, dessen Vorname einen Deutschnationalen noch halbwegs beruhigt, hält eine Wutrede wie bei Falk Richters Small Town Boy. Diesmal geht es nicht um fatale Äußerungen von Ilse Aigner oder Erika Steinbach, sondern um historische Einwanderungen ins gelobte Deutschland. Angefangen im Jetztzustand, landet er sobald bei den in Preußen angesiedelten Hugenotten, denen der sogenannte Große Kurfürst Friedrich Wilhelm nicht uneigennützig Schutz gewährte. Was sagt der heutige Pöbel? Brauchten wir nicht! Genauso wenig brauchten "wir" die Römer und infiltrierte ethnische Frühkulturen und migrierende Fische, die als Fremdkost die Eingeweide zermarterten. Eine Überspitzung pur, Wodianka hat die Lacher auf seiner Seite. Das Ganze erinnert an Anna Bergemanns Inszenierung Radikal aus der Petras-Ära (Premiere 13.10.2002): Beunruhigte Patrioten bringen es fertig, Karl Martell zu feiern, der im 8. Jahrhundert in Frankreich die eindringenden Araber triumphal zurückwarf. Am Ende geht es noch um im Inneren und Äußeren Eingemauerte. Und um den Kampf um die Esskultur. Trotz des exotischen Fremdangebots sterben die deutschen Gerichte, so hoffen einige, nicht aus. Hierbei werden manche "offene" Deutsche allerdings unterschätzt: Ćevapčići und Rasnici beispielsweise gehören für einige schon längst zu den einigermaßen tauglichen Gourmetfreuden. Insgesamt ist es ein sehr verspielter Abend, der zu nachhaltiger Solidarität auffordert und zumindest für zwei Stunden die von Erschlaffung bedrohten Herzkammern öffnet. Das in der dritten Spielzeit aktive Intendanzduo Langhoff/Hillje hat, was das politische Theater anbelangt, den anderen Berliner Bühnen längst den Rang abgelaufen. Leider erreicht es meistens nur die gleiche, stets wohlwollende Klientel.

In unserem Namen
mit Texten aus Aischylos' "Die Schutzflehenden", Elfriede Jelineks "Die Schutzbefohlenen", der 42. Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages sowie Originalbeiträgen der Schauspieler*innen.
Textfassung: Sebastian Nübling, Ludwig Haugk, Julia Pustet.
Regie: Sebastian Nübling, Ko-Regie: Lars Wittershagen, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Ursula Luenberger, Video: José Luis Garcia, Licht: Hans Fründt, Dramaturgie: Ludwig Haugk, Recherche: Julia Pustet.
Mit: Cynthia Micas, Thomas Wodianka, Mateja Meded, Mehmet Yilmaz, Anastasia Gubareva, Maryam Abu Khaled, Ayam Majid Agha, Tamer Arslan, Orit Namias, Elmira Bahrami, Vernesa Berbo, Karim Daoud, Tim Porath, Hasan H. Tasgin, Dimitrij Schaad.

Gorki Theater Berlin

Premiere vom 13. November 2015
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause


 

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