Die kriegerische Jungfrau

Die kriegerische Jungfrau (Bild: © Esra Rotthoff)

Wenig Lust auf Schiller

Wenigstens am Anfang schillert es ganz gewaltig. Falilou Seck als französischer König hat eine Jammertal-Unterredung mit La Hire (Aram Tafreshian) und Dunois (Till Wonka), während Marina Frenk als Jeanne d'Arc noch unbeteiligt auf dem Boden kniet und nicht in die Handlung eingreift. Videobilder mit märchenhaften Engelsgestalten flimmern auf der Bühnenwand. Hier scheint Jeanne d'Arc ihre göttliche Eingebung zu empfangen. Nach etwa 20 Minuten hat der Regisseur, der offensichtlich das Pensum seiner Texttreue erfüllt hat, keine Lust mehr auf Schiller und wendet sich seinen eigenen Eingebungen zu. Die aber sind von überschaubarem Niveau. Zunächst ist der englisch-französische Krieg – oder das, was Serre daraus macht – reine Männersache, zu den drei fragwürdigen Strategen gesellt sich auch noch Aleksandar Radenković, der an Tafreshian seine Fähigkeiten bei der fußtechnischen Sektion des Kickbockens erprobt. Des Regisseurs historisches Interesse ist dürftig, die aktuellen französischen Verhältnisse haben es ihm angetan. Das Wort Charlie fällt wie selbstverständlich, je suis Charlie, und die Zuschauer sind mittendrin in der Gegenwart. Auch die Videobilder machen darauf aufmerksam, man sieht Kampfhandlungen und Kerzen zum Gedenken der Toten. Aus den Engländern, die während des Hundertjährigen Kriegs Frankreich besetzen und an den Rand des Abgrunds treiben, sind Geflohene geworden, die im Land herumirren, ob registriert oder nicht, wird nicht gesagt. Und dann die Zustände in den Vorbezirken bzw. an der Stadtperipherie – die waren schon vor 25 Jahren ein Problem, aber kein Pulverfass.

 

Zappen zwischen Geschichte und Gegenwart

Erst als etwa die Hälfte der Inszenierung heruntergespielt ist, tritt Jeanne d'Arc in Aktion. Sie tut das mit traumverlorenem Blick wie jemand, der sich irgendwo in metaphysischen Weiten befindet. Als es ums Ganze geht und sie ihre nationalistischen Gefühle mobilisiert – im Krieg werden selbst Menschen zu glühenden Patrioten, von den man es nie erwartet hätte – nimmt ihr Gesicht zuweilen berserkerhafte Züge an. Zu ihrer Ausrüstung gehören ein spätmittelalterlicher Helm, ein Kreuz, ein Schwert und eine Fellweste – bestens geeignet für ein historisches Reenactment. Da auch Falilou Seck etwas Pelziges trägt, könnte man glatt von einem verhaltenen Fellfetischismus sprechen (Kostüme & Bühne Tina Wetzel). Aber sogleich wird wieder in die Gegenwart geswitcht, genauer: zu Le Pen, die sich für mehr als die bloße geistige Nachlassverwalterin der blutentflammten Jungfrau hält. Sie ist, zumindest in ihren Augen, die kulturelle Erbin, ja aktuelle Reinkarnation. Ansonsten geht das Zappen flott weiter, moderate, auf Ausgleich bedachte Kräfte, rechte und linke Ideologen kommen zu Wort, querbeet. Während Till Wonka noch den Laizismus verkündet, spricht sich Radenković, der sich mittlerweile Engelsflügel übergestreift hat, radikal dagegen aus. Er hat die Rolle eines Dschihadisten übernommen und fordert Vergeltung für das, was der Westen der arabischen-religiösen Welt angetan hat. Schwer auszuhalten. Ein Abend, bei dem einiges der Grande Nation in Frage gestellt wird. Ein gar zu kunterbunter Abend, aber noch erträglich.

Je suis Jeanne d'Arc
Frei nach "Die Jungfrau von Orleans" von Friedrich Schiller
Regie: Mikaël Serre, Bühne & Kostüme: Nina Wetzel, Musik: Nils Ostendorf, Video: Sébastien Dupouey, Dramaturgie: Daniel Richter, Holger Kuhla.
Mit: Falilou Seck, Till Wonka, Marina Frenk, Aleksandar Radenković, Aram Tafreshian.

Gorki Theater Berlin

Premiere war am 17.12.2015, Kritik vom 18.12.2015
Dauer: 90 Minuten, keine Pause

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