Anastasia Gubareva, Dimitrij Schaad

Anastasia Gubareva, Dimitrij Schaad (Bild: © Esra Rotthoff)

Überleben im Zeitalter der Notverordnungen

Diese Szene ist paradigmatisch für den auf die Bretter gebrachten Roman. Und es sind tatsächlich Bretter, die diesen krisengeschüttelten Mikrokosmos bewegen: Ein schräg abfallender Laufsteg ist das bühnentechnische Zentrum des Abends (Bühne: Sylvia Rieger). Dimtrij Schaad, der diesmal rollenbedingt nicht voll aufdreht und manche Facetten seines Könnens ausblendet, spielt einen gegen das Schicksal anrennenden Kleinbürger mit geistig reduzierten Mitteln in bescheidenen Verhältnissen. Das Katzbuckeln gehört zum Überlebenskampf am Ende der politisch und wirtschaftlich darniederliegenden Republik. Notverordnungen, der fatale Paragraph 48, ändern ständig die Sozialgesetze, man verliert den Überblick. Pinneberg kauft seiner Ehefrau, genannt Lämmchen (Anastasia Gubareva), einen teuren Frisiertisch inklusive Spiegel, ohne sich um die anfallenden Rechnungen zu bekümmern. Dimitrij Schaad bewältigt seine Rolle überzeugend: Dieser Mischung aus verkrampftem Ungeschick und Behauptungswille haftet etwas ergreifend Erschütterndes an, das selbst bei einem in Dumpfheit befangenen Indifferenzspezialisten ein wenig Empathie entfachen könnte. Anastasia Gubareva, die der Gorki-Frauengröße vollauf entspricht (160 – 165 cm), läuft in einem bauernkompatiblen, gänzlich unerotischen Beliebigkeitsfummel herum, ist aber aufrichtig in ihrer Liebe zu Pinneberg. Das macht ihre Figur stark – und authentisch.

 

Unerschütterliche Liebe als Schmerzlinderungsmittel

Der Regisseur Hakan Savaş Mican hängt relativ eng am Text, gestattet sich aber kleine implizite Ausflüge in die Jetztzeit: Ein kleiner Verlorener im Zeitalter des Konkurrenzkampfes der Flüchtlingskrise. Die Chronik eines angekündigten Todes ist das allerdings nicht – zu heftig ist die Liebe der beiden seelenverwandten Überlebenskämpfer. Das hat fast etwas Rührendes an sich. Und die der Leichtlebigkeit zugewandten, venusschalfreudigen Eltern (Çiğdem Teke und Tim Porath) unterstützen nach Kräften, trotz Aufwallungen eines gelegentlichen Zynismus. Ein treuer Kompagnon ist auch der frühere Mitarbeiter Heilbutt (Mehmet Yılmaz), der beinahe zu einem Mitgefühl-Kombattanten aufsteigt. Yılmaz präsentiert einmal seinen haarumflossenen, schlanken, aber kräftigen nackten Körper, wie auch später Schaad, der sich vor einem Geschäftsschaufenster seines Hemdes entledigt, um sein nackte Hilflosigkeit zu zeigen. Er wird, wie sollte es anders sein, von einem Schupo (Tamer Arslan) als gesellschaftsuntauglicher Gestrandeter zurechtgewiesen. Allein die Liebe hilft, ist aber auch nur ein Schmerzlinderungsmittel. Die Parallelen zur Gegenwartswelt sind nicht rein zufällig. Es wird teilweise chorisch geredet, mitunter herumhampelnd chargiert, aber vor allem mit professioneller Heißglut gespielt. Hakan Savaş Mican, der neben Yael Ronen zu den zukunftsträchtigen Regisseur-Highlights des Hauses gehört, hat eine jederzeit akzeptable Inszenierung hingelegt. Richtig groß ist sie allerdings nicht. Der Abend, der von guten Darstellungsleistungen lebt, tut nicht weh, dafür ist er zu zahm und spielerisch.

Kleiner Mann – was nun?
von Hans Fallada
Textfassung: Hakan Savaş Mican
Regie: Hakan Savaş Mican, Bühne: Sylvia Rieger, Kostüme: Sophie Du Vinage, Musikalische Leitung und Komposition: Jörg Gollasch, Dramaturgie: Holger Kuhla.
Mit: Çiğdem Teke, Anastasia Gubareva, Mehmet Yılmaz, Mehmet Ateşçi, Tamer Arslan, Tim Porath, Dimitrij Schaad. Musiker: Valentin Butt, Lukas Fröhlich, Matthias Trippner.

Gorki Theater Berlin

Premiere vom 15. Januar 2016
Dauer: ca. 140 Minuten, eine Pause

 

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