Taner Şahintürk

@ Esra Rotthoff

 

Unterhaltende Informationen über die Türkei

Es ist, als hätten Regisseur Erpulat und Dramaturg Kulaoğlu Anleihen bei der Freien Szene genommen. Das Unternehmen hat etwas Performance-Charakter, es befindet sich im freien Fluss, ganz ohne Handlungsstringenz. Beim Versuch, die momentane Situation in der Türkei darzustellen, hat Erpulat für die von Verschmocktheiten angefüllte Unterhaltung des Publikums zwar viel, aber für eine konkrete Analyse der Verhältnisse fast gar nichts geleistet. Das ist ja auch nicht die primäre Aufgabe des Theaters, obwohl seit der Ära der eminent engagierten Shermin Langhoff das Sozialpolitische eine große Rolle spielt. Die zarten bis aggressiven Attacken richten sich eher gegen den Volkskern, der immer noch überholten Ritualen frönt und sich darüber hinaus nach einer starken Führungskraft sehnt. Die fest verankerten Tee-Zeremonien sind noch ganz sympathisch, aber dass Lea Draeger vor einem geistlichen "Berater", einem extrem autoritären Imam (Tim Porath) dermaßen kriecht und kuscht, ist für westeuropäische Verhältnisse schwer vermittelbar. Hier ist eine religiöse Unterweisung, ja eine Unterwerfung unter himmlische Gesetze nur bei einigen fanatisch gläubigen Kaspern möglich.

 

Man versucht zu kuscheln

Selbstverständlich gibt es eine Foto-Galerie von kraftvollen Potentaten der türkischen Historie, übrigens über einem wonnig eingerichteten Doppelbett. Während einige Berliner nur bei Hertha-BSC-Bettwäsche in Fahrt kommen, beweist Aylin Esener, dass es auch auf andere Art, in quasi neutraler Atmosphäre sinnlich zugehen kann. Auch in der gegenwärtigen Türkei wird gekuschelt. Leider bei manchen Teilen zu sehr mit dem Regime – aber ist diese Inszenierung nicht ein stilles, hintergründigs Plädoyer für Privatmenschen, die nicht politisch sind und nicht wollen, dass ihr Privatleben in die Öffentlichkeit gezerrt wird? Im Grunde wird nur das mit einigen Genüssen und politischen Niederhaltungen angereicherte Dahinvegetieren einer Familie geschildert, die bestenfalls teilweise repräsentativ ist. Hinzu kommt ein Graben, in den man versenkt werden kann, und ein Höllennebel. Trotzdem ist das kein Inferno, weil zu sehr die nach außen dringenden Bewegungen und Erstarrungen des Gemüts behandelt werden. Kurz: Eine Bestandsaufnahme der mittlerweile forcierten Erdogan-Türkei findet nicht statt. Es ist mehr ein häuslicher Betrieb. Immerhin ein Betrieb, der mitunter ein anerkennendes Schmunzeln hervoruft. Im Ensemble ragen vor allem die Frauen Lea Draeger und Aylin Esener heraus.

Love it or leave it!
Ein Projekt von Nurkan Erpulat & Tunçay Kulaoğlu
Regie: Nurkan Erpulat, Text: Emre Akal, Bühne/ Kostüme: Alissa Kolbusch, Musik: Philipp Haagen, Dramaturgie: Tunçay Kulaoğlu.
Mit: Aylin Esener, Taner Sahintürk, Lea Draeger, Tim Porath, Philipp Haagen, Mehmet Yilmaz.

Gorki Theater Berlin, Aufführung vom 18. November 2016
Dauer: ca.130 Minuten, keine Pause

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