Mareike Beykirch, Mehmet Ateşçi

Mareike Beykirch, Mehmet Ateşçi (Bild: © Esra Rotthoff)

Graben im Mythos

Die Bühne (Magda Willi) besteht aus drei Stockwerken. Der Regisseur Hakan Savaş Mican ist quasi ein Liftboy, der die Schauspieler*innen auf verschiedenen Etagen aus Metall und Stahl nebst Unterlage spielen lässt. Entsprechend sind drei Videos zu sehen, die noch zum Besten des Abends gehören. Schöne Schattenspiele sind zu beobachten, etwa von Thomas Wodianka, der allein wegen seines in Bewegung geratenen Phänotyps durch schwarze Silhouetten sofort auszumachen ist. Rechts steht Dimitrij Schaad, der den hypertrophen multisexuellen Serösha hinlegt und auf der Gitarre Klänge beisteuert, die leider nicht zur ganz großen Kunst gehören und sich eher für noch tolerierbare Straßenmusik eignen. Eigentlich weist dieses Drama keine Handlung auf, es sei denn, Transgender, sexueller Appetit und das Ausprobieren von Personen sind der Kern des Geschehens. Der einzige literarische Gehalt, den dieses Stück zu bieten hat, ist der in biblischer Sprache vorgetragene Teiresias-Mythos. Der wird nur erzählt, um den Wunsch nach Doppelgeschlechtlichkeit besonders intensiv herauszustreichen und die vermeintlichen Gegenwartssehnsüchte von nach grenzenloser Ich-Entfaltung gierenden Urbanitätskrisenmenschen mythisch zu fundieren. Das klingt ganz gut, funktioniert aber nicht.

 

Das Ausleben bislang unausgelebter Bedürfnisse im Transgender-Dschungel

Die Figuren wollen etwas tun, was nicht in der Zeitung steht. Und nicht im Fernsehen zu sehen ist. Dabei erreichen Autorin und Regisseur ein Niveau, das an gewisse wöchentlich ausgestrahlte und seriell produzierte Unterhaltungsformate erinnert. Nur ist das Ganze so verschroben und schräg inszeniert, dass es bestenfalls für jene Rezipienten taugt, die schon immer den Hang zum Andersein verspürten und sich von Konformismus und Mainstream geradezu zwanghaft abheben wollen. Das Ich-Getöse ist mitunter unerträglich. Die Seele schreit "ich will!", ohne in diesem Transgender-Dschungel ernsthaft an die Bedürfnisse anderer, an die möglicherweise bitteren Konsequenzen zu denken. Diese identitätslosen, herumirrenden, eigentlich bemitleidenswerten Figuren haben keinen geistigen Überbau, kein gemeinschaftsstiftendes Ziel, das ihnen Halt verleihen könnte. Vögeln ohne Grenzen, egal wer mit wem – an die Seele, an die eigene gar, wird gar nicht gedacht. Alles mitnehmen zur Schmückung der Biografie, das ist das Motto. Bestes Beispiel: Am Ende will der hochgradig schwule Udi (Thomas Wodianka) auch noch mit der eminent lesbischen Üzüm (Thelma Buabeng) ins Bett, weil gerade nichts Besseres zur Hand ist. Die Beliebigkeit kennt keine Schranken: In einer Szene klammern sich die werkimmanent penisfixierten Mehmet Ateşçi und Thomas Wodianka an den üppigen Busen von Thelma Buabeng, als sehnten sie sich nach einer mythischen Ur-Mutter. Vielleicht wollten sie auch nur momentweise in den Mutterleib zurückkriechen. Wir wissen es nicht. Das Ergebnis ist ein gänzlich unliterarischer Genderkrampf. Hakan Savaş Mican hat in der Vergangenheit einige beachtliche Inszenierungen hervorgebracht. Was bei Meteoriten allerdings passiert, ist im Gorki Theater das Schlechteste seit langem.

Meteoriten
von Sasha Marianna Salzmann
Regie: Hakan Savaş Mican, Dramaturgie: Jens Hillje, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Miriam Marto, Musik: Michelle Gurevich, Video: Guillaume Cailleau.
Mit: Thelma Buabeng, Dimitrij Schaad, Mehmet Ateşçi, Thomas Wodianka, Mareike Beykirch.

Gorki Theater Berlin

Uraufführung vom 15. April 2016

Dauer: ca. 110 Minuten

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