(Bild: © Esra Rotthoff)

Überlebensangst greift um sich

Onkel Wanjas Mutter (Ruth Reinecke) ist hergerichtet wie eine Diva, die eine hervorragende, kulturell bewanderte Muse abgeben könnte. Die Frage ist nur: Für wenn hat sie sich so fein gemacht? Nun, anfangs glorifiziert sie, ähnlich wie Wanja (Tim Porath), die Lebensleistung des emeritierten Professors (Falilou Seck), aber das angeblich wissenschaftliche Juwel verwandelt sich schnell in einen misanthropischen Hypochonder, der, getrieben von urbaner Betriebsamkeit, gern in die ekstatischen Verzückungen des Nachtlebens eintauchte und triumphale Herzenseroberungen tätigte. Nun ist die Chimäre geplatzt, der Ruhm ist gar keiner und das ist Anlass für Onkel Wanja zu verbalen Injurien. Tim Porath spielt ihn aufgewühlt und etwas cholerisch wie jemand, der, von Überlebensangst diktiert, die Fassade nicht mehr künstlich aufrechterhalten kann. Anastasia Gubareva agiert als Jelena, vermag ihr aber nicht jene Strahlkraft und erotische Aura zu verleihen, die nötig wäre, um neben Wanja auch noch das Herz von Astrow (Dimitrij Schaad) glaubwürdig zu entfachen. Und Sonja (Mareike Beykirch), Nichte Onkel Wanjas und Tochter des Professors, stakst in rustikalen Hausschlappen über die Bühne, schließlich ist sie auf dem Gut aufgewachsen. Beykirch, gänzlich ungeschminkt und diesmal mit offenen Haaren, wirkt optisch verwandelt und handelt mit holpriger, blasser Häuslichkeit – eine Haltung, die im Laufe der Inszenierung gebrochen wird. Gegen Ende spricht sie wie eine Klassensprecherin souverän ins Publikum, als sei ihr Blut durch eine geheimnisvolle Medizin in Wallung geraten.

 

Der Trinker als Macher

Die überraschendste Figur in Erpulats Version ist ohne Zweifel Dimitrij Schaad. Eigentlich ist sein Astrow eine verbrauchte Persönlichkeit, die in ihrer Abgestumpftheit und Verbitterung lediglich die Natur und ihre Erhaltung ins ausgedörrte, nach Alkohol gierende Herz geschlossen hat. Dimitrij Schaad nun schiebt sich selbstbewusst ins Rampenlicht als eine Art Macher mit latenten Manager-Qualitäten. Nur er besitzt die Fähigkeiten, die Gemeinschaft zusammenzuhalten, könnte man meinen. Als Serebrjakow ankündigt, das Gut verkaufen zu wollen, fühlt sich Onkel Wanja um sein Leben betrogen. Die ganze Verwaltungstätigkeit umsonst, sein Lebenswerk zerronnen, für das er sich aufgeopfert hat, obwohl ein neuer Dostojewskij in ihm schlummerte! Sein Wutausbruch und die anschließenden Pistolenschüsse ins Nichts sind angesichts der Qualität eine kleine Publikumserfrischung, hauptsächlich für jene, die sich an Ausrastern ergötzen. Ansonsten hat die Inszenierung etwas Leichtfüßiges, sie fließt ruhig dahin, ohne in Langeweile zu erstarren. Zwischendurch wird auch mal wunderschön gesungen, wie bei einer Spontan-Party. Die Inszenierung ist fein und gefällig, aber wer zufällig keine Erfahrungen mit einer Landkommune gemacht hat, fühlt sich kaum berührt. Hier werden keine Wunden aufgerissen, hier wird in erster Linie gehobene Unterhaltung geboten, die das Gemüt in keiner Weise erregt. Nurkan Erpulat unternimmt nicht den Versuch, eine als metaphysisch empfundene Düsternis über das Stück zu legen oder elektrisierend Neues anzubieten. In der Schluss-Sequenz, in der Mareike Beykirch einen etwas verklärten poetischen Kitsch tschechowscher Provenienz zum Besten gibt, schwebt eine Eule über dem Bühnenbild. Nein, Erpulat trägt keine weitere Eule nach Athen, sein Vogel kommt nur mit anderem Gefieder daher. Nun, etwas mehr Farbe hätte man dieser Inszenierung, die jederzeit durchgeht, schon gewünscht.

Onkel Wanja
von Anton Tschechow

übersetzt von Peter Urban
Regie: Nurkan Erpulat, Bühne: Alissa Kolbusch, Kostüme: Elke von Sivers, Musik: Sinem Altan, Lichtdesign: Hans Leser, Dramaturgie: Ludwig Haugk.
Mit: Mareike Beykirch, Dimitrij Schaad, Falilou Seck, Ruth Reinecke, Marina Frenk, Anastasia Gubareva, Tim Porath, Sema Poyraz.

Gorki Theater Berlin

Premiere vom 2. Mai 2015
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

 

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