Fähnchen für Venedig

Fähnchen für Venedig (Bild: © Esra Rotthoff)

Ein wildes Kostümfest, nur einer trägt Straßenkleidung

Die Bühne (Julia Oschatz) ist nicht unoriginell: In architektonischer Hinsicht sehen die Zuschauer eine barocke Enfilade (Raumflucht) mit einer Vielzahl Rhomben. Die Portale verengen sich nach hinten, und in der Mitte prangt der – auch mal golden aufglühende – Markuslöwe, das Wahrzeichen Venedigs. Die Tatsche, dass der Feldherr Othello (Taner Şahintürk) mit seinem Gefolge nach Zypern ziehen muss, um die Türken abzuwehren, nutzt der Regisseur zur Einsetzung eines abenteuerlichen Chors, der aus gleichgeschalteten Zombies besteht, die an den letzten Alptraum erinnern. Den Soundtrack dazu liefern die Musiker Jens Dohle und Falk Effenberger. Da Shakespeares Stück Anfang des 17. Jahrhunderts entstand und es in Venedig angesiedelt ist, hält es Weise für geboten, bizarre Figuren vorzuführen, die unmittelbar der Commedia dell'arte entsprungen sein könnten. Nur Othello tanzt kostümtechnisch aus der Reihe, er trägt schlichte Straßenkleidung, zumal er, zumindest vor der Pause, der einzig ernsthafte Charakter ist. Aram Tafreshian, bislang eher minimalistischer Nebenrollenkönig, spielt Desdemona als ein bulliges Kraftweib, das den fast einen Kopf kleineren Othello mit einem gezielten Schlag in den hinterletzten Bühnenwinkel befördern könnte. Einen großen Solo-Auftritt bekommt Taner Şahintürk, bei dem auf Blackfacing als Regie-Persiflage verzichtet wird, immerhin: Er steht einsam da und reflektiert grollend und wütend über die Rassismus-Vorwürfe, die er, versehen mit einigen wortgewandten Zutaten, beinahe stichpunktartig abhandelt. Selbst wenn man die ungezügelte Animalität eines Farbigen goutiert und vermeintliche Vorzüge preist, wirkt das wie eine herablassend-joviale Umarmung, eine subtile Form der Unterdrückung. Das ist nicht viel Neues, aber zumindest etwas – der Regisseur bemüht sich.

 

Nach der Aufblähung wird die Luft herausgenommen

Insgesamt wird komödiantisch geschmiert, was das Zeug hält. Till Wonka als liebestechnisch abgesägter Rodrigo spielt im roten Narrenkostüm den kaspernden Hampelmann pur und hat mit mythisch angefärbtem, blutgetränktem Heimatboden wesentlich mehr zu schaffen als mit Migration. Oscar Olivo als Cassio, der wie ein künstlich verbrämter Niedergangs-Molière aussieht, verhilft der Travestie allein durch sein Verhalten zu einem fragwürdigen Triumphzug. Und Falilou Seck als Jagos Gattin und periphere big mama ist dermaßen überschminkt und aufgetakelt, als wolle sie Zypern im Alleingang erobern, nur um an eine Palette Pralinen ranzukommen. Der Höhepunkt des Abends ist eindeutig Thomas Wodianka. Sein intrigenreicher Jago ist eine neue Fassung, ja eine modifizierte Reinkarnation von Klaus Kinski, fies und clever und variantenreich aasig. Ein hervorragendes Augenspiel. Schade nur, dass er – und auch seine Kollegen – nach der Pause ihre Kostüme sukzessive ablegen. Es ist auch so: Die Luft ist raus, die zweite Hälfte ist, nachdem das meiste gesagt und dargestellt wurde, ein Rückfall in die Profanität. Eine aufgeblähte Matratze, aus der nach und nach die Luft herausgezogen wird. Erst eine Retardierung, dann eine Vorbereitung für den Schlafmodus, ja ein Einlullen für die moderate Party danach. Es ist eine Inszenierung ohne größere Prätentionen, aber mit durchaus unterhaltenden, erfrischenden Komponenten. Etwas zur gehobenen Zerstreuung. Wer mit philosophischen, eschatologischen oder metaphysischen Dingen ringt, kann hier getrost sein Gehirn auslüften und entleeren.

Othello
nach William Shakespeare

von Soeren Voima
Regie: Christian Weise, Bühne und Video: Julia Oschatz, Kostüme: Andy Besuch, Sounddesign und Live-Musik: Jens Dohle, Falk Effenberger, Licht: Jens Krüger, Dramaturgie: Aljoscha Begrich.
Mit: Thomas Wodianka, Till Wonka, Falilou Seck Oscar Olivo, Taner Şahintürk, Aram Tafreshian.

Gorki Theater Berlin

Premiere vom 19. Februar 2016

Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause.

 

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