(Bild: © Esra Rotthoff)

Der Kulturclash verschärft sich

Aber als eine Apotheose der unzerstörbaren Liebe ist dieses Stück mitnichten angelegt. Im Vordergrund stehen zwei Antipoden: Der Bürgermeister Herbert (Godehard Giese) und Grün (Dejan Bućin), der Anführer der Islamistengruppe. Herbert würde am liebsten mit den Muslimen aufräumen und ist ansonsten ein typischer Hurra-Patriot, der, bieder und kleinkariert und ohne Zug ins Große, sich in einer Dimension regelrecht verbohrt, fast bis zur Überzeichnung. Ein Provinz-Diktator, allerdings mit bescheidenen Mitteln. Dagegen steht Grün, den ein starkes Fluidum wie eine Schutzhülle umgibt, ein Fluidum, das nicht nur behauptet, sondern auch eingelöst wird. Als der Kulturclash rapide zunimmt und sich die Lage bedrohlich verschärft, findet sich Grün an einem Kreuz wieder, gefesselt und geknebelt. Er hätte sich wahrscheinlich einen behaglicheren Ort der Festhaltung gewünscht. Zwischen die Fronten geraten ist Ka (Mehmet Yilmaz), der wie ein verhinderter Dichter Journalist geworden ist, zumal er nichts literarisch Produktives mehr hervorzubringen vermag. Die Situation ist verzwickt: Seide (Leas Drager) möchte bei ihrer Schwester Samt (Nora Abdel-Maksoud) bleiben, die übrigens mit Grün liiert ist. In einem fleckenanfälligen, eleganten weißen Trenchcoat daherkommend, erinnert Ka ein wenig an Jörg Fauser, der ebenfalls als Schriftsteller und Journalist arbeitete. Der Rückweg ist Ka abgeschnitten, so dass er, den das Reflektieren und der objektive Blick vor einer Radikalisierung bewahren, sich mit den Gegebenheiten arrangieren muss und Empathie für beide Seiten aufbringt.

 

Abfederung durch Leichtigkeit

Gerade in der heutigen Zeit wirkt das Thema geradezu reißerisch, aber der Regisseur Hakan Savaş Mican intendierte wohl eine Abfederung durch Leichtigkeit und kabarettistische Einlagen. Konsequenterweise regt sich der Bürgermeister künstlich auf über eine Kopftuch tragende Schützenkönigin, deren Haare man nicht sieht. Und die Sparkasse hat keine Sparschweine mehr: Das ist zum einen eine Lachnummer, zum anderen verweist die Bemerkung auf die prekäre finanzielle Gesamtlage, bei der die drangsalierten Bürger außerstande sind zu spenden. Schön anzusehen ist die weibliche Abteilung, etwa Nora Abdel-Maksoud, die als Wortführerin der Kopftuchfrauen und als Kämpferin gegen patriarchalische Strukturen wie von einem entsakralisierten Heiligenschein umschlossen scheint. Edel und mutig ist Blick, als sei sie zu einem unangreifbaren Seelenbezirk vorgestoßen. Lea Draeger, nicht ganz so stark wie in Small Town Boy, macht bei diesem provinziellen Religionskrieg zumindest das richtige Gesicht und erklimmt den Nimbus der Unerreichbarkeit. Nach den vielen Schaubühnen-Jahren ist sie nicht nur reifer geworden, sondern auch besser. Und Tamer Arslan, in einem Funktionärsanzug steckend, spielt einen wichtigtuerischen Geheimdienstler und Putschisten mit Anflügen zur gepflegten Rampensau. Letztlich wirkt alles doch ein bisschen provinziell. Ein unterhaltsamer Abend, mit dem das Gorki Theater allerdings nicht Anschluss ans Welttheater findet (was auch immer das sein mag). Dafür fehlt es einfach am nötigen Denkstoff.

Schnee
frei nach dem Roman von Orhan Pamuk
Stückfassung: Hakan Savaş Mican und Oliver Kontny

Regie: Hakan Savaş Mican, Bühne: Magda Willi, Cleo Niemeyer; Kostüm: Daniela Selig; Musik: Enik; Video: Hanna Slak; Licht: Carsten Sander; Dramaturgie: Irina Szodruch.
Mit: Lea Draeger, Mehmet Yilmaz, Godehard Giese, Nora Abdel-Maksoud, Dejan Bucin, Tamer Arslan.

Gorki Theater Berlin

Premiere vom 11. April 2015
Dauer: ca. 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

 

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